Thor Steinar und die Blümchenshorts des Bösen

Aus aktuellem Anlass hier noch einmal ein vier Jahre alter Artikel von mir in der taz über das Modelabel „Thor Steinar“, das bei den Lichterkettenträger die gewohnt sinnfreien pawlowschen Reflexe auslöst. Wenn man sich politisch nicht mit bestimmten Dingen auseinandersetzen will, dann diskutiert man über die Kleiderordnung.

Seit einem halben Jahrzehnt verkauft die Firma MediaTex aus Königswusterhausen bei Berlin Textilien für die Dame, den Herrn und sogar für Kinder – eine ostdeutsche Erfolgsgeschichte. Die Symbole auf der Kleidung sind vielen Menschen jedoch ein Dorn im Auge, weil sie wie germanische Runen aussehen. Sie finden: „Da muss man doch was tun?“

An sich bedeuten diese Zeichen, die Tiwaz- oder die Gebo-Rune, allerdings erst einmal nichts: sie sind genauso „nordisch“ oder „völkisch“ wie blondes Haar oder blaue Augen. Es könnte aber sein, befürchten die runenkundigen Gegner der Marke, dass Neonazis sich dabei etwas Neonazistisches denken, wenn sie diese Textilien tragen, und sich gegenseitig daran als Neonazis erkennen. Das wiederum wäre nicht gut, will man doch den Faschisten keinen Fußbreit undsoweiter. Also muss man mahnen, warnen, sich empören, entlarven und mindestens mit Lichterketten werfen gegen Läden, die Thor-Steinar-Ware im Sortiment führen.

Filialen der einschlägigen Ladenkette Tonsberg in Leipzig, Magdeburg, Dresden und Berlin-Mitte stoßen bei Antifa-Gruppen wie braven Bürgern jedenfalls stets auf Protest. In mehreren Fußballstadien der neuen Bundesländer, im Bundestag und im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ist es gar verboten, mit Kleidung dieses Labels aufzukreuzen. Ein Sweatshirt aus Königswusterhausen ist offenbar gefährlicher als ein Taschenmesser – das würde einem im Parlament nicht abgenommen.

Im Land, das den protestantischen Bildersturm erfunden hat, ist ein Kampf um Symbole in der Regel hoch emotionalisiert: er regt die Leute mehr auf als der Streit um politische Inhalte. Wer aber glaubt, dass Runen auf Hemden, Pullis und Jacken politisch „wirken“, der huldigt primitiver Magie. Er könnte genausogut an Gespenster glauben oder in eine katholische Messe gehen.

Völkerkundler wissen: ein beliebiges Zeichen beeinflusst die Gruppendynamik erst dann, wenn die Mitglieder sich a priori und oft unbewusst darauf verständigt haben, beim Anblick dieser Symbole etwas zu empfinden. Ein Baby sieht bei einem Hakenkreuz schwarze Striche, ein Inder ein Symbol für Glück. Und der Deutsche? Gehört er zu den sittlich Gefestigten, dann gruselt er sich, wie es sich moralisch gehört.

Nur zur Erinnerung – und weil auch in der taz schon das Gegenteil behauptet wurde: Die Marke Thor Steinar war nie verboten. Das Tragen der Kleidung ist nie rechtskräftig zum Strafttatbestand erklärt worden. Keines der vom Label benutzen Symbole ist verfassungsfeindlich. Über 200 Strafverfahren wurden wegen Thor Steinar angestrengt, alle wurden eingestellt. Der Verfassungsschutz hat nie behauptet, der Firma gehörten Rechtsextremisten an. So what?

Was sich eine Firma für eine erfolgreiche und teuren Werbekampagne wünscht, wurde dem Label durch seine Gegner gratis frei Haus geliefert: Mediale Aufmerksamkeit durch Proteste, Schärfung des Profils durch popkulturelles Geraune von „rechtem Schick“ und „Kultmarke“, dazu ein eigener Eintrag bei Wikipedia mit detaillierter Produktbeschreibung: „martialisch“, „Streetwear“ – so etwas weckt Neugier bei der potenziellen jugendlichen Kundschaft. Für Werbefachleute wäre Thor Steinar ein Leckerbissen. Hinzu kommt das Gütesiegel durch den Verfassungsschutz, Thor Steinar sei „identitätsstiftend“ für die rechte Szene, ein juristischer Persilschein und – am wichtigten, um für Underdogs attraktiv zu sein – das Hausverbot in Fußballstadien und Parlamenten.

Was will man mehr? Wer die Textilien von Thor Steinar erwirbt, der besitzt Kleidung, die es garantiert nie von der Stange und im Kaufhaus geben wird. Statt dessen macht sie den Träger – wie schon die klassischen Lieblingslabels der Skinheads, Fred Perry, Ben Sherman, Lonsdale oder Everlast, zum Mitglied einer Gruppe von Eingeweihten, die sich untereinander erkennen. Sie können sich fühlen wie Besitzer einer seltenen Automarke, die sich auf der Straße mit ihren Geführten zufällig begegnen und sich flüchtig grüßen, obwohl sie sich nicht kennen. Thor Steinar – da weiß man, was man hat. Das beflügelt den Verkauf.

Betrachtet man den Katalog von Thor Steinar, erstaunt eher, wie fantasielos die Produktpalette ist: Das Top „Turboelfe“ für „Mädels“ klingt wie ein Accessoire für Opel-Manta-Fahrer, „Shorts Sigrid“ nach dem Regal einer schwedischen Möbelfirma, und die wetterfeste Kleidung für Jungs besteht im wesentlichen aus aufgebrezelten Bomberjacken. Die Feinstrickpullis erscheinen wie eine Mischung aus Matrose gewollt, aber nicht gekonnt und einem Outfit für Hooligans im Seniorenheim. Ganz multikulti kommen die Badeshorts „Samoa“ und „Sansibar“ im Blümchenmuster (für Männer!) einher. Modebewusste Rechtsextremisten mit prallem Geldbeutel tragen offenbar kein Feinripp mehr: das lässt immerhin hoffen. Dann gibt es noch die Farbauswahl schwarz, weiß und rot. Ein Schelm, wer überhaupt was dabei denkt.

Zugegeben: wer sich an den Kampagnen gegen Thor Steinar beteiligt, der meint es meist gut. Doch in Wahrheit schlummert hinter der Antifa-Attitüde, eine clevere und politisch zynische Geschäftsidee mit Mitteln des Strafrechts oder gar mit Gewalt bekämpfen zu wollen, das typisch deutsche Obrigkeitsdenken, dem auch Linke und Lichterkettenträger allzugern immer wieder verfallen. Sie finden, der Staat müsse gegen das Böse – hier: Thor Steinar – hart durchgreifen. Melde gehorsamst: gefährliche Symbole entdeckt! Bitte Verbot durchführen!

Dabei dürfte sich auch bei der Räuber-und-Gendarm-Antifa herum gesprochen haben, dass eindeutig zweideutige Mimikri inzwischen auch zum Reportoire der ganz braunen Kameraden gehört. Ein Rassist und Antisemit kann, wenn er hip sein will, auch ein Che-Guevara-T-Shirt tragen, ein Pali-Tuch sowieso. Es gibt keine subkulturellen Zeichen mehr, die eindeutig für eine politische Idee stehen. Das ist auch gut so: Wer Symbole umdeutet, sie flexibel einsetzt, schwächt ihre Bedeutung im kulturellen Kontext. Es würde dem Ruf der Marke bei überzeugten Rechtsextremen eher schaden, wenn sie Normalos oder Linke trügen, als wenn man ihr den Nimbus des Besonderen zubilligte.

Thor Steinar ist in Sachen Mode, was die Böhsen Onkelz für die Musik sind: ein Angebot für den rechten Rand, für den „White Trash“ und alle Verlierer mit Trotzhaltung, aber auch für die nur gefühlt bösen Jungs, die am liebsten ihr Wohnzimmer mit deutscher Eiche ausstaffierten.

Wie sehen sich die Kunden von Thor Steinar selbst? Darauf gibt eine Umfrage auf der Website Auskunft: „Mit überwältigender Mehrheit stuften sich die Käufer der Marke als politisch uninteressiert oder in der Mitte der Gesellschaft befindlich ein.“ Was nichts anderes heißt als: wer Thor Steinar trägt, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit für rechtspopulistische Parolen empfänglich und steht politisch genau dort, wo Rassismus und Antisemitismus ihre stärksten Wurzeln haben: mittendrin in Deutschland.

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Kommentare

11 Kommentare zu “Thor Steinar und die Blümchenshorts des Bösen”

  1. altautonomer am Juni 13th, 2012 1:18 pm

    Wenn ich gefragt würde, wie denn so ein Gutachten über die Harmlosigkeit des Dresscodes für Neonazis aussehen könnte, würde ich antworten: „Schau mal bei Burks vorbei!“

  2. Michael am Juni 13th, 2012 6:53 pm

    Eins muß man der NPD lassen: Das war Trolling auf ziemlich hohem Niveau – richtig subversiv. Aber wie in diesem Artikel gut herausgearbeitet: Solcherlei Symbol-Politik bietet hierfür auch eine erstklassige Angriffsfläche.

    Die grösste Lachnummer auf diesem Gebiet war aber wohl die Sache mit der Wolfsangel: Irgendwann hat mal irgendeine braune Kameradschaft eine solche als ihr Symbol auserkoren. Prompt wurde sie verboten – die Gruppe und deren Symbol. Dumm nur, daß es sich bei der Wolfsangel um ein recht verbreitetes heraldisches Symbol handelt und sie daher in etlichen hochoffiziellen Wappen vorkommt, z.B. dem der Städte Mannheim oder Rüsselsheim. Mindestens einmal hat auch mal die Polizei jemanden hochgenommen, weil er ein Käppi mit einem entprechenden Stadtwappen drauf trug…

    http://www.heise.de/tp/artikel/30/30292/1.html

    Die Nazis lachen sich doch krank bei sowas. M-(

  3. piet am Juni 13th, 2012 7:40 pm

    Was Du leider unterschlägst ist, daß die jeweiligen Läden zur Naziinfrastruktur gehören und somit Anlaufpunkte bieten für Leute, die anderen Leuten gern mal ihr Existenzrecht handtätig absprechen. Die Tendenz des Artikel : Antifa ist ne blöde Spaßbremse. Eine Runde Herrenunterwäsche „Heinrich“ für Burks.

  4. totschka am Juni 13th, 2012 9:46 pm

    Dann gehören Nadelstreifenanzüge aber auch verboten und einschlägige Herrenausstatter nachrichtendienstlich observiert, denn der Nazi von heute kommt im schicken Anzug daher…

    Beachtlich, wie sie in Sachsen über das Stöckchen springen, dass ihnen von den NPD-Nasen hin gehalten wird.

  5. Jim am Juni 13th, 2012 10:14 pm

    Ich denke auch, dass Verbote hier nichts nützen, wie so wenig bei vielen anderen Dingen.
    Ist doch voll okeh, wenn jemand Thor Steinar trägt weil er damit provozieren will, dann erkennt man den Fascho schon. Denn dass überwiegend „rechts“ denkende Menschen diese Klamotten tragen, ist doch hinläufig bekannt. Und das Argument, man solle es entkräften, indem auch „Linke“ oder Spießbürger sowas kaufen und tragen, lasse ich nicht gelten. Ich trage ja auch keine Hugo-Boss-Anzüge, um den Banker und seine kapitalistische Meinung und Symbolik lächerlich zu machen. Oder Polizeiuniformen und und und…

  6. Lazarus09 am Juni 13th, 2012 10:22 pm

    piet

    Du meinst das Bundeskanzleramt empfiehlt als Kleiderordnung für verdeckte Ermittler des BND Thor Steinar ?
    Kriegen die da Rabatte ..? :-P

  7. hanna am Juni 13th, 2012 10:44 pm

    Burkhard,

    Zur praktischen Auffrischung Deiner
    Recherchen bitte ich Dich mal das Schmaus-Haus
    in Berlin – Rudow anzuschauen und auch mal
    mit dessen Betreibern, den Falken zu sprechen.

    Manchmal passt eben doch zwischen Styling und der
    Gesinnung des Trägers kaum eine Rasierklinge.

  8. admin am Juni 14th, 2012 8:40 am

    Ja und? Das ändert sich nicht, wenn man die Kleidung verbietet. Dann nehmen die eine andere. Ist doch besser, man erkennt sie gleich.

  9. piet am Juni 14th, 2012 12:00 pm

    @lazarus – Man, wat Du nicht alles aus meinem Kommentar rausliest.

  10. Fundstücke « Serdargunes' Blog am Juni 16th, 2012 4:39 pm

    […] Thor Steinar und die Blümchenshorts des Bösen (Burks / 13.06.2012) […]

  11. koogleschreiber am Juni 16th, 2012 5:08 pm

    Wenn ein Schwuler in SS-Uniform auftritt, von der Schönheit des Analverkehrs singt, reicht ja auch schon die Uniform, ihn mit erlesenstem Geifer zu würdigen. Death in June darf in Israel Konzerte geben, ohne gewisse Reflexe auszulösen. DIJ beherrscht das kalkulierte Spiel mit dem Ominösen noch besser als Thor Steinar. Tolle Musik, aber gleichzeitig löckt der Stachel: Darf ich das eigentlich mögen dürfen?
    „ich weiß nicht, ob es Kunst ist, aber ich finde es schön.“ The Joker, gespielt von Jack Nickolson…

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