Brot und Spiele und Pack, revisited

Christoph Lütgert kommentiert in Spiegel Online den Auftritt Carsten Maschmeyers bei Sandra Maischberger:
Wir hatten aufgezeigt, wie der AWD-Gründer und seine Drückerkolonnen Zigtausenden kleiner Anleger höchst riskante Finanzprodukte vertickt und diese Menschen in den Verlust ihrer Ersparnisse getrieben hatten. Noch heute erhalten wir erschütternde Zuschriften von Maschmeyer-Opfern; Menschen, die nicht damit klarkommen, dass der Verlobte von Veronica Ferres zu den reichsten Deutschen gehört und die Spitzen aus Politik, Gesellschaft und Showbusiness ungeniert zu seinen Freunden zählt.

Am 12.01.2011 hatte ich hier schon einmal SpOn zitiert: „Im Übrigen sei Herr Maschmeyer auch bereit gewesen, dem NDR ein Interview zu geben, wenn konkrete Fragen vorher vorgelegen hätten.“

Ceterum censeo:
In einen Land, in dem die meisten Medien Interviews “autorisieren” lassen, ohne dass es dafür eine gesetzliche Grundlage gäbe, und in dem der “Untertan”, den wir aus der Literatur kennen, das charakterliche Maß aller Dinge ist, sollte sich niemand erdreisten, einem so genannten Prominenten eine Frage zu stellen, ohne diese vorher mit dessen Rechtsbeiständen hin- und hergewendet zu haben, damit auch nichts dabei herauskäme, was irgendjemanden in dessen Seelenruhe störe. (…)

Damit wäre der Unsitte, die man aus dem angelsächsischen Journalismus kennt, ein Riegel vorgeschoben, dass es die Journaille immer noch wagt, Dinge zu publizieren, die dem Allgemeinwohl des Staates schaden, die die sittlichen Grundlagen der Leitkultur unterhöhlen, insbesondere auch den Schutz der Jugend, und die die Öffentlichkeit mit Schmutz und Schund behelligen, etwa den lügenhaften und verachtenswerten Thesen, die man leider immer noch vereinzelt vernehmen muss, einer ihrer geschätzten Mandaten könnte eines jener zahlreichen Arschgesichter sein, die sich gewissenlos auf Kosten der kleinen Leute bereichern, wie es zwar der Kapitalismus vorgesehen hat, aber hierzulande zum Glück durch die Einführung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die wir alle lieben und verehren und zu der es bekanntlich keine Alternative gibt, komplett unterbunden worden ist.

Wenn Maschmeyer seine Meinung mittlerweile nicht geändert hat, wird Maischberger ihm auch vorher die Fragen zum Abnicken vorgelegt haben. Deutscher Fernsehjournalismus at it’s best.

Ich will nicht missverstanden werden: Ich find es gut, dass Arschgesichter und Pack im Fernsehen auftreten dürfen. Mehr davon! Wer Interviews „autorisieren“ lässt, sollte erst gar keinen journalistischen Anspruch formulieren. Derartige Talkshows sind Unterhaltung, keine Information. Wer sich jetzt künstlich aufregt, dass Maschmeyer und seien Komparsen sich als Wohltäter im Kapitalismus haben aufspielen können, der tut so, als hätte es anders sein können. Das ist aber ein Irrtum. Niemand hatte jemals die Absicht, das System als solches in Frage zu stellen.

Unterhaltung dient dazu, denjenigen ein mentales Ventil zu verschaffen, die nichts unternehmen und den Kapitalismus als die höchste und endgültige Stufe der Evolution des Homo sapiens ansehen. Brot und Spiele – das war schon im römischen Colosseum so.

Entertainment im Kapitalismus ist eine Teilmenge von Religion aka gewollte Verblödung der Massen aka Opium des Volkes.

Was ist der Unterschied schwischen den Tittenbildern von Bild, der Yellow Press à la Gala, den systemaffinen Faselrunden bei Illgner und wie sie alle heissen und Maischberger? Wenn es einen gibt, dann braucht man ein Elektronenmikroskop, um ihn festzustellen.

Lütgert schreibt: „Die nächsten Werbeauftritte im Fernsehen für Carsten Maschmeyer und sein Buch sind vermutlich schon gesetzt. Keinen halben Tag nach der Maischberger-Sendung – exakt um 8.44 Uhr – erschien er bereits im ZDF-‚Morgenmagazin‚.“

Quod erat demonstrandum. Nichts Neues aus der öffentlich-rechtlichen Anstalt.

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Kommentare

4 Kommentare zu “Brot und Spiele und Pack, revisited”

  1. Juza46 am März 21st, 2012 5:04 pm

    Vielleicht eine andere Erklärung hier:

  2. admin am März 21st, 2012 5:06 pm

    wo?

  3. Juza46 am März 21st, 2012 5:22 pm
  4. Jörg am März 21st, 2012 6:28 pm

    Hier muß man noch einmal auf einen Titel von weiter unten kommen: „Demokratie als Herrschaft einer Elite“

    So ganz stimmt das m. E. nicht. So etwas hätte auf die „Volksdemokratien“ á la DDR oder halbreligiöse Reiche (das mit „DDR“ und „Kirche“ ist irgendwie nicht ganz abwegig) wie das alte Ägypten und die großen Indianerreiche zugetroffen. Auch auf Reiche der feudalistischen Zeit hätte dies wohl zugetroffen. Und solche Elitenherrschaft ähnelt dem Fall einer Person, die entmündigt wird und nun einem „Pfleger“ oder „Vormund“ unterworfen ist, da die Person (Staat, Bürger) entmündigt wurde und nicht voll rechtsfähig ist.

    Auf die parlamentarischen Demokratien wie die BRD und die meisten europäischen Länder trifft m. E. ein ganz anderer Satz zu: „DEMOKRATIE ALS HERRSCHAFT VON MAFIEN“.
    Und ein Staat mit Mafien oder Großgangsterbanden ähnelt eher einem Körper der k r a n k h e i t s b e f a l l e n ist.

    Und damit sind wir bei diesem „Brot und Spiele und Pack…“.
    Die Bürger, die als Demokraten eigentlich die Fürsten und Könige ersetzen und nun herrschen sollten, wollen das heutzutage irgendwie nicht. „Herrschen“ heißt ja nicht, daß man andere knechtet oder ausbeutet oder seinem persönlichen Vergnügen oder Haß nachgeht. Sondern „herrschen“ entspricht dem, was man beim Fahren eines Autos tut. Man muß lenken nach links und rechts und vorne und hinten blicken, kuppeln, schalten, Gas geben, bremsen, Blinker betätigen usw.
    Und dieses herrschen im Auto oder im Staat ist eben mit Arbeit verbunden. Aber da wollen die Bürger, auf die eine Demokratie nun einmal aufbaut, nicht mitspielen. Sie meinen schon genug getan zu haben, wenn sie sich um ihr eigenes kleines Leben kümmern. Dies ist heute so, weil sie – so meine These – ‚geschwächt‘ sind.

    Das war nicht immer so: Es erscheint mir so, daß sich die meisten Leute sogar in den miefigen 50er und frühen 60er Jahren (Doris Day-Atmosphäre) für das, was im Staat geschah, deutlich mehr verantwortlich fühlten als heute. Daß da die politische Anteilnahme auch oftmals aus einer ganz gruselige politische Perspektive heraus erfolgte (hier Nazis, in den USA red necks), will ich gar nicht bestreiten. Aber zumindest war diese „Anteilnahme“ und das Verlangen mitzubestimmen wenigstens da. Auch die Unruhe unter den Teenagern/Halbstarken, trat ja nicht erst ab Mitte der 60er Jahre (Studentenunruhen) auf. Vielmehr gab es etwas vergleichbares doch schon in den 50er Jahren (Stichworte wären James Dean-Jenseits von Eden, Marlon Brando-die Motorradgangs). Ich behaupte, hätte es z. B. in den 50ern nicht diese übertriebene Autorität der Eltern über ihre Halbstaken Kinder gegeben (meine älter Schwester mußte noch 1960 einen monatelangen Zermürbungskrieg gegen meine Eltern führen, ehe sie sich Jeans anziehen und damit auf die Dorfstraße durfte), dann hätten sich die jungen Leute eben ein ganz anderer „Kratzbaum“ vorgeknöpft. Es ging eben eigentlich gar nicht um das vordergründige Thema.
    Und genauso gab es viele Erwachsene, die geradezu rebellisch aus dem kleinbürgerlichen Mief der breiten Maße herausragten.

    Dabei war das Verlangen nach Mitbestimmen nicht auf das streng politische Gespräch begrenzt. Dieser Zwang immer „politisch“ diskutieren zu müssen kam ja erst Ende der 60er Jahre und in den 70er Jahren auf (Hanns Dieter Hüsch, der keineswegs kleinbürgerlich-‚unpolitisch‘ war, wurde da einmal ganz übel angegriffen – nur weil er Kabarett nicht als enge politische Belehrungsveranstaltung verstanden wissen wollte).
    Vielmehr drücke sich das Verlangen auf Teilhabe am gesellschaftlichen Prozeß auch z. B. in Romanen Kurzgeschichten, Filmen, etc. aus. Die eher schon zu den 40er Jahren zu zählenden Henry Miller und Albert Camus, um nur zwei Beispiele zu nennen, waren doch auch Rebellen, die auf die Gesellschaft einwirken wollten.
    Oder auch die Musik der 50er und 60 Jahre, war doch absolut davon geprägt, daß die Künstler auch etwas sagen wollten. Ja, sie wollten natürlich auch Geld verdienen. Aber sie wollten aber eben auch etwas sagen. Noch heute faszinieren doch oft schon allein die „lyrics“ der Stücke der britischen und US-amerikanischen Bands und Künstler. Und dann kam noch die Musik dazu. Eine „Lady Gaga“ wäre damals nicht vorstellbar gewesen.

    Und solche guten Zeiten gab es offenbar auch früher. Wilhelm Busch, der Simplizissimus, das Aufbegehren der neuen Maler in den Jahrzehnten um die letzte Jahrhundertwende herum seien hier nur als Stichworte genannt.
    Aber heute ist dieses Begehren etwas sagen zu wollen (ich mein gerade nicht dieses „twittern“), erloschen.

    Und diese Mafien (Müllmafia. Pharmamafia, Rüstungsmafia, Bankenmafia, usw.) sind mir ein Zeichen. daß dieser ‚Körper‘ Bürgerschaft massiv von Krankheiten befallen ist. Und wenn ein Körper derart massiv von mehren Krankheiten auf einmal befallen ist, dann weist dies darauf hin, daß dieser ‚Körper‘ g e s c h w ä c h t ist.

    Woher kommt diese Schwäche?
    Meine These wäre, daß die Bürger gerade nach den 60er Jahren auf das Abgreifen von „gutem feeling“ eintrainiert wurden oder sich selbst dorthin erzogen. Das wären die hier im Titel genanten „SPIELE“.
    Und so etwas schwächt natürlich. Denn „gutem feeling“ nachzulaufen, ist nicht anderes als Selbstausbeutung. Denn dieses „feeling“ kommt nicht von außen, sondern wird ja immer selbst produziert (wie ja auch jedes Glucksgefühl). Und im Kopf gibt es nun einmal keine ständig sprudelnde Quelle dafür.

    Am gefährlichsten erscheint mir das Begehren, bei möglichst vielen Freunden „BELIEBT“ zu sein …. und die Verrenkungen oder Verleugnungen oder ANPASSUNGEN, die deswegen veranstaltet werden.
    Als vor knapp einem Jahr ein Apple-Shop in meiner Stadt eröffnet wurde, kam ich zufällig am Vorabend der Eröffnung vorbei. Und ich sah durch die riesigen Glassfenster wie die mit der Einrichtung des Ladens gerade fertiggewordenen ziemlich vielen Mitarbeiter von Apple sich gegenseitig(!) beklatschten(). Auf der großen aus dem halboffenen Obergeschoß kommenden Treppe durfte jeder einmal herunter- und durch die Gasse der zwei Reihen seiner Kollegen schreiten. Und dabei wurde jeder Einzelne bejohlt und beklatscht! Und als am nächsten Morgen der Laden aufmachte, durfte nun auch jeder Besucher durch das Spalier der Apple-Mitarbeiter gehen und wurde beklatscht und obszön aufdringlich belächelt. Und den Besuchern gefiel das auch noch – wie ein Blick in deren Gesicht verriet.
    WI-DER-LICH!
    http://pics.nase-bohren.de/3245-freunde.jpg

    Das macht schwach.
    Und Schwäche macht krank!

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