Jugendschutz ist keine zivilisatorische Errungenschaft

Spiegel Online formuliert das gesunde Volksempfinden: „Der Jugendschutz ist eine zivilisatorische Errungenschaft…“

Nein. Ist er nicht. „Jugend“ oder Kindheit“ als „schützenswerte“ Zeitspanne sind eine Erfindung der Neuzeit und eine soziale Konstruktion: „Entwicklung wird als Metapher der Bevormundung zurückgewiesen, da durch sie Kindheit zu einem Übergangstadium zum Erwachsensein reduziert werde.“

Liest du mal ein kluges Buch und guckst du hier bei Philippe Ariès: Geschichte der Kindheit:
Laut Ariès leitete die „Entdeckung“ der Kindheit im 16.-18. Jahrhundert eine Entwicklung zum Negativen ein. Im Mittelalter hatte die Gesellschaft keine Vorstellung von Kindheit und somit auch nicht von Erziehung. Kinder waren bis ungefähr zum siebten Lebensjahr von ihren Eltern abhängig, danach wurden sie als eigenständige Mitglieder der Erwachsenengesellschaft anerkannt. Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern war vergleichbar der zwischen einem Lehrherrn und seinem Lehrling. Es gab kaum emotionale Bindungen. In der Gesellschaft herrschte eine kollektive Lebensform, die keine Privatsphäre kannte. Die Funktion der Familie war weitgehend auf die Produktion von Nachkommen und auf den Fortbestand des Namens und Besitzes beschränkt.

Seit der „Entdeckung“ der Kindheit hat sich die Vorstellung vom Wesen und der Entwicklung des Kindes grundlegend verändert. Die Funktion der Familie lag nun stärker auf der Vermittlung von Normen und Werten sowie der Förderung von Individualität und Identität. Ariès ist der Ansicht, mit Beginn der Neuzeit sei es zu einer Isolation der Kinder von der Erwachsenengesellschaft und zu einer Trennung der Lebenssphären von Erwachsenen und Kindern gekommen. Schule, die auf Disziplin und Gehorsam großen Wert lege, schränke die Freiheit des Kindes ein.