Reinheitsgebot

„Nach der Regel der Distanzierung vom physiologisch Ursprünglichen (bzw. der ‚Reinheitsregel‘) gilt, daß mit wachsendem Druck der sozialen Situation auf die an ihr beteiligten Personen das soziale Konformitätsverlangen dahin tendiert, sich durch die Forderung nach strikter Kontrolle der körperlichen Funktionen auszudrücken. Die Körperfunktionen werden um so strikter ignoriert und aus dem Bereich des in der Situation Ansprechbaren ausgeschlossen, je wichtiger dieses letztere wird. Einem sozialen Vorgang kann auf natürliche Weise eine besondere Würde gegeben werden, wenn man alle körperlich-organischen Vorgänge strikt aus ihm ausschließt. Soziale Distanz drückt sich also als Distanzierung vom physiologisch Ursprünglichen aus und umgekehrt.“ (Mary Douglas: „Ritual, Tabu und Körpersymbolik. Sozialanthropologische Studien in Industriegesellschaft und Stammeskultur. Frankfurt am Main 1974, S. 3 – eines der interessantesten und klügsten Bücher, das ich besitze.)

Die wohlwollenden Leserinnen und geneigten Leser mögen selbst darüber nachdenken, wie Prüderie und gesellschaftliche Reaktion zusammenhängen, ob die Loveparade, in der calvinistischen Schweiz erfunden, etwas mit Sex zu tun hat oder vielmehr das Gegenteil rituell darstellt, und ob Kurzhaarfrisuren und moderne WC-Center politische Aussagen sind.