Atom-Neusprech und die Darmflora des Kapitals

BZEs ist interessant zu beobachten, welche Wortwahl die Atom-Lobby mittlerweile durchgesetzt hat und welche Medien sich daran halten. Wer pro Atomernergie ist, sagt in der Regel „Kernenergie“, um etwas Sauberes zu suggerieren und weil „Kern“ irgendwie neutral klingt (wenn schon, dann „Atomkernenergie“!). Natürlich sagt man als Lobbyist, der auch über Leichen geht, nicht „Atommülllager“, sondern „Entsorgungspark“.

Die Berliner Boulevardzeitung BZ, die zu Springer gehört, gibt heute die Sprachregelung aus, wie man die Atomlobby weiter unterstützt, auch wenn in Japan alles in die Luft fliegt. Bei dem AKW Fukushima handelte es sich um einen „veralteten“ Reaktor. Damit kann die Atom-Lobby gleich im Chor rufen: „So etwas kann in Deutschland nicht passieren – wir sind hier modern! Und bei uns gibt es nur kleine Erdbeben, keine großen!“

Ich glaube nicht, dass die deutsche Atomlobby in der BZ angerufen und um diese Formulierung gebeten hat. Das machen die Medien freiwillig. Wie der Spiegel neulich über die Bild-Zeitung schrieb: „tatsächlich übernimmt sie immer wieder die Rolle einer rechtspopulistischen Partei, die im deutschen Politikbetrieb fehlt.“

Die Springer-Bouelevard-Soldateska entblödet sich auch nicht, ausgerechnet heute Michael Fuchs zu Wort kommen zu lassen. Der ist Stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und besitzt die Chuzpe, seinen Lesern erzählen zu wollen, warum Atomenergie in Deutschland unbedingt gebraucht werde. Die Zeit nennt ihn einen „Freund der Bosse“. Ein Sprechblasen-Ausschütter des Kapitals also. (Die Nebeneinkünfte des Atom-Lobbyisten Michael Fuchs beliefen sich 2010 auf mindestens 109.500 Euro.)

Wie die Springer-Boulevard-Presse selbst Atom-Katastropen für rechtspopulistische Pro-Atom-Propaganda ausnutzt, zeigen die geheimen Akten über Gorleben. Greenpeace schrieb: „Eine geologische Eignung des Endlagers Gorleben wurde nie festgestellt. Trotzdem soll der Ort im Wendland möglicherweise als Endlager für Deutschlands radioaktiven Abfall herhalten. Alles deutet darauf hin, dass politisches Kalkül und nicht wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse der ausschlaggebende Faktor war, diesen Standort festzulegen.“

Die Welt kommentierte damals: „Aus diesen Dokumenten gehe hervor, dass es keinen echten wissenschaftlichen Prüfprozess für den Standort Gorleben gegeben habe. (…) Aus Unterlagen der BGR geht den Angaben zufolge auch hervor, dass den Bürgern noch während der späteren Erkundung des Salzstocks wesentliche Informationen vorenthalten wurden.“

Die Bild hingegen publizierte im Mai 2010 die Lügenmärchen der Atom-Lobby: „Der Atom-Standort Gorleben ist nach einer Studie im Auftrag der niedersächsischen Landesregierung nach fachlichen Bewertungen ausgewählt worden.“ Die BZ lässt zwar auch kritische Stimmen zu Wort kommen, verschweigt aber, dass die Entscheidung, das Atommüllager in Gorleben anzusiedeln, nur der gewohnte Kotau der Politik vor den Bossen der Atom-Lobby war.

Mit dem Atom ist es wie mit den Textbausteinen „Drogen“ oder „Kinderpornografie im Internet“: Es wird ein irrationaler Reiz-Reaktionsmechanismus ausgelöst, der keine Argumente mehr erlaubt.

Leute wie Fuchs würden vermutlich selbst dann noch die Atomenergie fördern, wenn in Japan 10 Millionen Menschen verstrahlt werden würden. Atomkraft in Deutschland ist eben sicher und wer einmal an der Darmflora des Kapitals geschnüffelt hat, der will diesen Geruch nie wieder missen.

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