Verfassungsrechtlichen Anforderungen an die fachgerichtliche Prüfung des Versammlungscharakters einer Zusammenkunft

Das Bundesverfassungsgericht hat einem Neonazi Recht gegeben. Hinter dem sperrigen Titel „Verfassungsrechtlichen Anforderungen an die fachgerichtliche Prüfung des Versammlungscharakters einer Zusammenkunft“ verbirgt sich eine interessante Entscheidung, die aber wie gewohnt in ein verständliches Deutsch übersetzt werden muss, bevor man auch nur versteht, worum es eigentlich geht.

Die Magdeburger Volksstimme schreibt: „Die vom Amtsgericht Bad Liebenwerda in Brandenburg verhängte Geldbuße gegen ein Mitglied der rechten Szene wegen Teilnahme an einer unerlaubten Versammlung ist rechtswidrig. Das Bundesverfassungsgericht erklärte in einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss, das Urteil des Amtsgerichts habe den Kläger in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verletzt. (Az: 1 BvR 1402/06). Im August 2004 hatte in Finsterwalde in Brandenburg eine angemeldete Demonstration unter dem Motto „Keine schweigenden Provinzen – Linke Freiräume schaffen„, stattgefunden. Etwa 40 Mitglieder der rechten Szene, darunter auch der Kläger, postierten sich schweigend entlang der Route der Kundgebung. Das Amtsgericht verurteilte den Kläger wegen fahrlässiger Teilnahme an einer unerlaubten Ansammlung zu einer Geldbuße von 75,00 Euro.“

„Fahrlässige Teilnahme an einer unerlaubten Ansammlung“ – auf so etwas muss man erst einmal kommen. Worum geht es?

Wenn sich ein paar Leute treffen, ist das keine Demonstration im juristischen Sinn – die stünde durch das im Grundgesetz garantierte Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit unter einem besonderen Schutz. Der Artikel 8 des Grundgesetzes sagt zwar, dass alle Deutschen das Recht haben, sich ohne Anmeldung (!) oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln, das gilt jedoch nicht absolut: „Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.“

Die unteren Instanzen deutscher Gerichte treten dieses Recht regelmäßig mit Füßen, indem sie Demonstrationen von Neonazis verbieten – und gehen in Einklang mit dem gesunden linken Volksempfinden nach dem Motto: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen, was besagen soll: Grundrechte sollten nicht für die Bösen gelten. Ich formuliere das bewusst so boshaft, weil die Linken, also die Guten, immer noch nicht kapiert haben, dass sich nichts in Deutschland ändern wird, wenn nicht voher die Primärtugenden und -reflexe (mit denen man bekanntlich auch ein KZ betreiben kann) melden, durchführen und verbieten bei jedwedem gesellschaftlichem Problem ersatzlos gestrichen werden. Diese Leitkultur führt manchmal dazu, dass man Rinks und Lechts velwechsern kann.

Das Bundesverfassungsgericht musste also entscheiden, ob das versprengte Häuflein Neonazis, dass da herumstand, eine Demonstration gewesen, obwohl sie als solche nicht angemeldet worden war. „Nach der Auffassung des Amtsgerichts sei eine versammlungsrechtliche Auflösung vor Erlass des polizeirechtlichen Platzverweises nicht erforderlich gewesen, weil es sich bei der Zusammenkunft nicht um eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG, sondern lediglich um eine Ansammlung nach § 113 Abs. 1 OWiG gehandelt habe.“ (Gesetz über Ordnungswidrigkeiten: „Ordnungswidrig handelt, wer sich einer öffentlichen Ansammlung anschließt oder sich nicht aus ihr entfernt, obwohl ein Träger von Hoheitsbefugnissen die Menge dreimal rechtmäßig aufgefordert hat, auseinanderzugehen.“)

Das Bundesverfassungsgericht watschte das Amtsgericht ab: „Angesichts dieser Umstände hätte das Amtsgericht sich damit auseinandersetzen müssen, dass der physischen Präsenz in einer die gegenteilige politische Ausrichtung zu erkennen gebenden Aufmachung gepaart mit dem Schweigen der Gruppe hier naheliegenderweise eine eigenständige Aussage zukommen kann.“ Wer also schweigend in der Nähe des politischen Gegners herumsteht und dieses Herumstehen als Statement verstanden haben will, der demonstriert im juristischen Sinn.

Die Polizei kann nicht einfach sagen „verpisst euch“. „Versammlungsspezifische Maßnahmen der Gefahrenabwehr richten sich nach den hierfür speziell erlassenen Versammlungsgesetzen. Die dort geregelten, im Vergleich zu dem allgemeinen Polizeirecht besonderen Voraussetzungen für beschränkende Verfügungen sind Ausprägungen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit. Dementsprechend gehen die Versammlungsgesetze als Spezialgesetze dem allgemeinen Polizeirecht vor. Daraus folgt, dass auf das allgemeine Polizeirecht gestützte Maßnahmen gegen eine Person, insbesondere in Form eines Platzverweises, ausscheiden, solange sich diese in einer Versammlung befindet und sich auf die Versammlungsfreiheit berufen kann.“

Das Bundesverfassungsgericht hat also wieder einmal gut, schön und wahr entschieden, auch wenn es zum Vorteil der Bösen war.