Streuobstwiese Rixdorf

Streuobstwiese

Gestern interviewte mich eine Geografin über eine kleine Streuobstwiese in Rixdorf. Das hört sich langweilig und banal an, ist es aber nicht.

Man ahnt schon, worum es geht, wenn man sich einen ersten Überblick bei Wikipedia verschaft: „Es liegen zahlreiche lokale und regionale Erhebungen vor, die zwischen 1965 und 2000 einen Rückgang der Streuobstwiesen in Deutschland und Mitteleuropa von ca. 70 % belegen. Dies gilt sowohl für die Fläche als auch für die Anzahl der Obstbäume. In Deutschland gibt es nach Schätzungen des NABU nur noch rund 400.000 ha Streuobstwiesen. Die verbliebenen Bestände sind lückig und vergreist, da absterbende Bäume nicht mehr ersetzt werden. Bestehende Bestände werden kaum gepflegt. Darüber hinaus hat sich die Artenzusammensetzung mit der Nutzung verändert. Allen voran ist die Zahl der anspruchsvollen Apfelbäume drastisch gesunken, da viele fruchtbare Flächen umgenutzt wurden. In den 1920er Jahren begann in Europa die Trendwende zur Obstplantage. Das unüberschaubare Sortiment an Kernobst sollte im Erwerbsbau auf je drei Apfel- und Birnensorten beschränkt und durch das Prädikat ‚Reichsobstsorte‘ gefördert werden.“

Die Wiesen mit vielfältigen Obstsorten werden im Kapitalismus also tendenziell ersetzt durch Plantagen – das bringt mehr Profit. Nur Obstsorten, die Gewinn bringen, dürfen noch angebaut werden. Alles andere, auch wenn es besser schmeckt, kommt auf den Müll und wird verboten.

Hier am Richardplatz, versteckt hinter Höfen und kleinen Häusern, gibt es noch eine kleine Streuobstwiese, weit und breit die letzte ihrer Art. Niemand hat sie bisher genutzt, nur ein paar Hundehalter, zu denen ich auch gehörte, als Ajax von Teufelslauch noch hier wohnte. Die Eigentumsverhältnisse der Wiese sind verworrren; das Areal ist eine öffentliche Grünfläche, die vor dreißg Jahren dafür gedacht war, dass die unmittelbaren Anwohner sie als Treffpunkt nutzen sollten. Das hat nicht funktioniert, vor allem auch, weil ein gräßlicher Neubauklotz den Weg versperrt.

Jetzt gibt es einen „Konflikt“ zwischen denen, die die Wiese noch nutzen und einer Gruppe von älteren Damen, die die Schnapsidee hatten, das Areal zu einem „Garten der Poesie“ um zuwidmen. Man muss sich das ungefähr so vorstellen: Ein paar Multikulti-Tussen sitzen zusammen, eingedenk dessen, dass Fördergelder für irgendwelche Projekte nur fließen, wenn man „Kultur“ als Logo draufpappt – der Kartoffel- und Gemüseanbau an sich würde nicht gefördert – und beschließen dann, dass man die Einwanderer mit dem Robbenbaby-Effekt (Polen und Russen kommen also nicht vor) mit dem beglückt, was deutsche Mittelschichts-Muttis unter „Kultur“ verstehen: Gereimtes in Ausländisch vorzutragen und irrig zu vermuten, weil es vor einiger Zeit mal die hängenden Gärten von Babylon gab, arabische Immigranten in Neukölln würden sich auch heute noch zuhauf gern dem kollektiven Gartenanbau widmen.

Wie es bei jedem Interessenkonflikt üblich ist, beschreiben sich die Parteien gegenseitig so, dass es möglichst hämisch klingt: Das Quartiersmanagement behauptet, „die Hundebesitzer“ würden die Streuobstwiese demolieren und seien gegen Kultur. In schönstem Bürokraten-Neusprech heisst es: „Die Streuobstwiese im QM-Gebiet wurde 2009 mit Mitteln der ‚Sozialen Stadt‘ durch den Verein Netzwerk Stadtraumkultur e.V. hergerichtet. Der Verein hat ein Konzept für einen ‚Interkulturellen Garten der Poesie‘ erarbeitet und möchte die Wiese für die Bewohnerschaft reaktivieren und neun kleine Gemüsegärten anlegen.“ [Berlin Amtsgericht Berlin (Charlottenburg) VR 27983]

Neun kleine Gemüsegärten – bruhahahaha. Wie lange die wohl überleben würden in Neukölln, so ganz ohne Jägerzaun und Selbstschussanlage drumherum? „Kultur“ – von oben oktroyiert: das entspricht auch dem paternalistischen Multikulti-Verständnis von Einwanderern. Einwanderer auf deren vermeintliche Folkore zu reduzieren – das ist Sarrazin auf Multikulti.

Eine Wiese darf im Kapitalismus nicht einfach eine Wiese bleiben, die irgendwie keinem gehört – sie muss geplant „benutzt“ werden, am besten von einem Verein. Natürlich könnten die Anwohner, die in den Häuschen rund um die Wiese wohnen, blöden Hundebesitzern (blöde Hunde gibt es nicht) das Handwerk legen oder sie wegmobben. Aber dazu sahen die bisher offenbar keinen Anlass. Dass bei „Bürgeranhörungen“ herumgemault wird, wird niemanden überraschen – das darf man in Berlin ohnehin nicht so tierisch ernst nehmen. Berliner sind daran gewohnt, sich mit nervertötenden Zeitgenossen irgendwie arrangieren zu müssen.

Mir gehen ältliche LyrikerInnen jedenfalls mehr auf den Senkel als etwa ein deutscher Boxer, die mich zwar nicht kennt und ein paar Mal ängstlich prophylaktisch vor mir herumbellt (Boxer sind harmlos, sie sehen nur nicht so aus), um mich einzuschüchtern, dann aber bei einem strengen Kommando mit Handzeichen „Sitz“ macht und angesichts eines von mir angebotenene Hundeküchleins anschließend anbiedernd herumhechelt.

Fazit: Lasst die Weise so, wie sie ist, pflanzt ein paar Büsche und hört auf, uns mit Poesie zu behelligen – Lichterketten haben wir schon genug. Gärten der Poesie zu Streuobstwiesen!

Streuobstwiese

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Kommentare

One Kommentar zu “Streuobstwiese Rixdorf”

  1. Über die Streuobstwiese : Burks' Blog – in dubio pro contra am Juli 19th, 2020 6:14 pm

    […] führt vom Richardplatz zur Böhmischen Strasse. Man überquert die hier schon vor fast zehn Jahren erwähnte Streuobstwiese. Ich habe natürlich so fotografiert, dass der ultrahässliche Neubauklotz, den irgendein mental […]

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