Journalismus vorgegaukelt

Jetzt werden sie wieder hypen und geifern. Spiegel offline hat das Titel-Stöckchen gehoben, über das alle mit Schaum vor dem Mund hüpfen werden: „Erfolge im Kampf gegen Kinderpornos vorgegaukelt“. Die Original-Meldung ist weniger hysterisch: „Löschen dauert lange“.

Wenn man sich vor Augen führen will, was unter „Qualitätsjournalismus“ in Deutschland verstanden wird, muss man immer wieder dieses Thema bemühen. Zwei Lobby- und Pressure-Groups werden im Artikel bei Spiegel Offline genannt – der Verband der deutschen Internetwirtschaft (Eco) und Inhope, der „internationalen Dachverband der Beschwerdehotlines“. Ein Journalist würde vielleicht auf die Idee kommen, die Leser zu informieren, wer mit welchen Interessen hinter diesen Gruppen steht, damit der mündige Bürger die jeweiligen PR-Meldungen einordnen kann. Ich habe am 31. Juli 2006 über Inhope geschrieben:

Typisch deutsch ist die Internet-Beschwerdestelle. (So etwas gibt es wirklich!) „Über uns: Der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco und die Freiwillige Selbstkontrolle Multimediadiensteanbieter FSM betreiben seit Jahren Hotlines zur Entgegennahme von Beschwerden über illegale und schädigende Internetinhalte.“ (…) Die Mutter aller Beschwerdestellen arbeitet, wer hätte das gedacht, mit Inhope zusammen – und dort finden wir natürlich jugendschutz.net. Die üblichen verdächtigen Lobbyisten also, die Zensur und Filter befürworten. Thomas Rickert, der verantwortlich ist für den Inhalt der „Internet-Beschwerdestelle“, ist auch Präsident von „Inhope“. „Rickert leitet die ECO-Internet Content Task Force, eine deutsche Hotline, die im Rahmen von INHOPE gegen illegale Internetinhalte kämpft.“ Bruhahaha. So etwas nennt man unter Luhmännern „selbstreferenzielles System“.

Diese Gruppen verbreiten allesamt heiße Luft, darüber dürfte unter aufgeklärten Menschen kein Zweifel bestehen. „Eine Kontrolle von Internetinhalten ist kaum möglich, weil sich Inhalte im Internet ständig ändern. (..) Sofern es um den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor illegalen und schädigenden Inhalten geht, so empfiehlt sich auch der Einsatz von Filterprogrammen“, sagt Rickert.

Darum geht es aber nicht, sondern um Moraltheologie, weil man bei Spiegel Offline und anderen Medien weiß: Bei dem Thema hört niemand genau hin. Es heisst nur: „Kopf ab zum Gebet“. Das mediale Rauschen um die Operation Heiße Luft wurde nicht zuletzt von Spiegel offline befächert – und selbstredend nicht korrigiert. Die krude „Mixtur aus Halbwahrheiten, urbanen Märchen und glatten Falschmeldungen“ kann man immer noch unkommentiert einsehen. Regret the error? Nicht in deutschen Mainstream-Medien. Wo kämen wird denn da hin.

Warum finden sind kein Wort über die Tatsache, dass es in unterschiedlichen Ländern unterschiedliche gesetzliche Grundlagen im Kampf gegen Kinderpornografie gibt, dass also sich immer noch einige Länder weigern, am klostertauglichen deutschen Wesen zu genesen? Die Rechtsprechung in den USA ist anders, deswegen geht man dort gegen bestimmte Inhalte, die nur in Deutschland strafbar wären, gar nicht vor. Wer das verschweigt, ist kein Journalist, sondern ein Lobbyist der profit-orientierten Zensur-Mafia.

Wikipedia darf das noch schreiben: „Manche Sexualforscher vermuten in der aggressiven Gesetzgebung gegen Kinderpornografie den Versuch sexualfeindlicher, moralkonservativer Gruppen, Pornografie allgemein zu kriminalisieren. Da dies aber wegen des politischen Klimas in westlichen Staaten oftmals nicht möglich sei, würden stattdessen Gesetze gegen Kinderpornografie forciert, die auf eine Weise geschrieben werden können, die nicht nur Kinderpornografie, sondern auch viele andere Medien mit pornografischem Inhalt, oder bloßer Nacktheit, kriminalisieren.“ Diese Wissenschafter würden in Deutschland nicht ohne Polizeischutz in eine Talkshow gelassen.

„Die FDP hatte sich gegen die Zensurliste vom BKA ausgesprochen, ebenso wie die Grünen, die Linke und ein breites Bündnis aus der Zivilgesellschaft (…) Derzeit deutet viel darauf hin, dass die Hardliner in der CDU sich durchsetzen und das Sperrgesetz doch noch angewendet wird.“

Haaaaalt! Das ist jetzt kein Journalismus, Spiegel offline. Der Papst, Käßmann, die Taliban, die Zeugen Jehovas und Opus Dei sprechen sind dafür aus, dass es höhere Wesen gebe, deren Zorn man durch ritualisiertes Verhalten besänftigen müsse. Dieser „Gottesbezug“ müsse den Nicht-Gläubigen aufgezwungen werden. Georg Christoph Lichtenberg, Immanual Kant, Ludwig Feuerbach, Karl Marx, Friedrich Nietzsche, Sigmund Freud, Fjodor Michailowitsch Dostojewski und Charles Darwin und noch ein paar andere Personen, deren Intelligenzquotient die durchschnittliche Zimmertemperatur übersteigt, hatten sich gegen die Existenz höherer Wesen ausgesprochen. Derzeit deutet viel darauf hin, dass die Verfechter frommer Legenden und des dummdreisten Aberglaubens sich durchsetzen. Das wäre doch eine Nonsens-Meldung, gelle? Die deutsche Journaille hat also gar keine Meinung, sondern denkt, die These, die Erde sei eine Scheibe, müsse gleichberechtigt neben den Erkenntnissen der aktuellen Astrophysik stehen?

Die „Diskussion“ für und wider Zensur, die sich als „Kampf gegen Kinderpornografie“ kostümiert, ist kein Streit zwischen Meinungen, sondern der zwischen Unfug und Vernunft, zwischen abergläubischem Regenzauber und rationalen Argumenten, zwischen hysterischem Exorzismus und kritischem Denken. Da darf man als Journalist durchaus etwas meinen.

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Kommentare

2 Kommentare zu “Journalismus vorgegaukelt”

  1. wii1and am August 15th, 2010 5:50 pm

    Sehr gut auf den Punkt gebracht.

  2. Wolf-Dieter am August 16th, 2010 2:57 pm

    — Zitat —
    Die “Diskussion” für und wider Zensur, die sich als “Kampf gegen Kinderpornografie” kostümiert, ist kein Streit zwischen Meinungen, sondern der zwischen Unfug und Vernunft, zwischen abergläubischem Regenzauber und rationalen Argumenten, zwischen hysterischem Exorzismus und kritischem Denken.
    — Zitat Ende —

    Regenzauber ist immerhin noch rationaler als diese Untoten mit ihren sexuellen Zwangsvorstellungen. In allen übrigen Punkten: full ack.

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