Deutsch des Grauens

Was ist und zu welchem Ende betreiben wir Sprachkritik? Wer nicht klar spricht und schreibt, hat vorher wirr gedacht. Schreiben ist jedoch Handwerk: Man kann lernen, wie man sich ausdrücken muss, damit das Publikum versteht, was man meint. Manche Leute glauben jedoch, sich möglichst geschwurbelt geben zu müssen. Der Jargon einzelner Berufe, das Juristen- und Beamtendeutsch, das eitle und oft oft nur faule Gespreize und das vermeintlich Authentische – sie sind Feinde der Sprache und der klaren Gedanken. Meine Sprachpäpste sind Elias Canetti, Heinrich Heine und der Philosoph Georg Christoph Lichtenberg. Letzterer ist schlicht ein Sprachgenie. „Nichts kann mehr zu einer Seelenruhe beitragen, als wenn man gar keine Meinung hat.“ Zum Glück habe ich mindestens eine. Ich rege mich also immer auf.

„Er sagt es klar und angenehm, was erstens, zweitens, drittens käm“, beschrieb Wilhelm Busch einen guten Redner. Der jedoch hätte ein Problem gehabt, wäre sein Thema die Telekommunikationsüberwachungsverordnung gewesen: Das Wortungetüm, aus dem Urgrund der deutschen Beamtenseele hervorgekrochen, ist für die Sprache das, was Freddy Krüger für kleine Mädchen ist. „Abhörgesetz“ sollte es heißen! Wir sagen auch „Geisterfahrer“ und nicht „Gegenfahrbahnbenutzer“, obwohl nirgendwo Geister sind.

Ähnlich holpernd kommt die Überschrift „Nichtanwendungserlass für das Zugangserschwerungsgesetz“ einher. Thomas Stadler, ein Anwalt, hat das verbrochen, und ihm sei halb verziehen – Juristen können nicht schreiben. Ausnahmen bestätigen die Regel. Wer übersetzen das, was er uns mitteilen will, ins Deutsche – so wie es auf seinem Blog steht, versteht es niemand. Und da es sich um das Gute, Schöne und Wahre handelt, ist das bedauerlich.

Der in den Koalitionsverhandlungen vereinbarte Kompromiss zu den Netzsperren, wonach für die Dauer von einem Jahr nur gelöscht und nicht gesperrt werden soll, soll offenbar über einen Anwendungserlass geregelt werden, der dem BKA aufgibt, keine Sperrlisten zu erstellen und solche Listen auch nicht weiterzuleiten.

44 Wörter, verschachtelt und nicht logisch verknüpft – muss das sein? Neun Wörter pro Satz bedeuten bei dpa die Obergrenze der optimalen Verständlichkeit. Probieren wir’s!

Der Kompromiss soll irgendwie durch irgendwas geregelt werden – das ist die Aussage des Satzes. Und wer tut was? Wer ist Ross und wer ist Reiter? Die Koalitionsparteien haben einen Kompromiss geschlossen. Doppelpunkt: welchen? Für ein Jahr soll (Websites?) nur gelöscht und nicht gesperrt werden. Wer sperrt? Wer wie sperrt, wird in einem Erlass geregelt. Doppelpunkt: Was steht da drin? Das BKA darf keine Sperrlisten erstellen und diese auch nicht weiterleiten. Geht doch. Drei oder vier Sätze, insgesamt nur 35 Wörter, und alles ist gesagt.

Noch schlimmer ist eine Pressemitteilung des Ak Vorrat:
Die im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung zusammengeschlossenen Bürgerrechtler, Datenschützer und Internetnutzer halten den Kompromiss von FDP, CDU und CSU zur Vorratsdatenspeicherung für inakzeptabel und weisen die sachlich falsche Kritik von Polizeifunktionären entschieden zurück.

Wer tut was? Was ist wichtig und was zusätzliche Information? Bürgerrechtler, Datenschützer und Internetnutzer – was tun die? Sie haben sich zusammengeschlossen. Aber das ist nicht das Wichtigste, sondern nur das Logo, das in einer Presseerklärung nicht fehlen darf. Aber nicht am Beginn einen Satzes, der das Publikum interessieren und fesseln soll!

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung weist etwas zurück – das ist auch Unsinn und langweiliges Politiksprech. Die Frau wollte das Nachporto nicht bezahlen und wies das Postpaket zurück. Da geht es, aber nicht hier. „Für inakzeptabel halten – wie wäre es mit: akzeptiert nicht? Der AK Vorrat akzeptiert den Kompromiss zur Vorratsdatenspeicherung nicht – das ist die Botschaft, und erst dann kommen die Dinge, die nur erläutern. Dafür gibt es den Nebensatz: den FDP, CDU und CSU ausgehandelt haben.

Was noch? Der AK Vorrat kritisiert die Kritik oder so ähnlich. Entschieden, nicht halbherzig – wer hätte das gedacht. Außerdem weiß hier niemand, was genau die Kritik der Polizeifunktionäre war. Kritisieren die den Kompromiss oder die Meinung des AK Vorrat? Beide akzeptieren also den Kompromiss nicht, aber aus unterschiedlichen Gründen? Der AK Vorrat hält (zudem) die Kritik der Polizeifunktionäre am Kompromiss für sachlich falsch. Und jetzt kann hinterherhoppeln: Am AK Vorrat haben sich Bürgerrechtler, Datenschützer und Internetnutzer zusammengeschlossen.

„Eine Einschränkung des staatlichen Datenzugriffs ist keineswegs die angekündigte ‚Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung‘ und ändert nichts an dem inakzeptablen Risiko einer missbräuchlichen Nutzung oder eines versehentlichen Bekanntwerdens unserer privaten, geschäftlichen und politischen Kommunikationsbeziehungen.

Au weia. Das erinnert mich an mein Posting vom 11. März 2006: „Wie man grässliche Pressetexte in schlechtem Deutsch verfasst“. Ich schweife kurz ab: Karl Valentin ist verständlicher als der AK Vorrat: „Wehe dem, der sich selbst, wehe dem, dem derjenige nur das ist, was wir uns von diesem erwartet haben. Selbst ist die Frau! Meine Herren! Wenn die Besonnenheit uns von unseren Sorgen, deren wenige ein verblendendes Spiel in uns gesetzt zum Zwecke des Mittels, einen wie bei jedem, wir können nicht das gute Gewissen mit derselben Resignation verknüpfen, der unserem Standpunkt von vorneherein gegenüberstand.“

Ganz einfach: Jedes Wort, das auf -ung endet, ist verboten (außer „Vorratsdatenspeicherung“, weil es um genau die geht). Der Staat greift also auf unsere Daten zu. Das Verb greifen ist allemal stärker und besser als das lasche „der Zugriff“, das uns verschweigen will, wer denn zugreifen will. Ich muss zugeben: Ich bin nicht sicher, ob ich auf Anhieb richtig verstanden habe, was uns der AK Vorrat sagen will. Wenn der Staat weniger häufig auf Daten zugreift, wird die Vorratsdatenspeicherung nicht ausgesetzt? Die doppelte Verneinung hat immer Tücken – das versteht niemand auf Anhieb. Die Steigerung des Arbeitslosigkeit verringert sich – wird sie nun mehr oder weniger?

Die Vorratsdatenspeicherung wird nicht ausgesetzt (besser positiv: bleibt in Kraft), (auch) wenn der Staat nur weniger häufig auf Daten zugreift. Es besteht weiter das Risiko, dass er die Daten missbraucht. („Inakzeptables Risiko“ gefällt mir nicht. Das schafft eine zusätztliche logische Ebene – eigentlich die Aufgabe eines Nebensatzes.) Kommunikationsbeziehungen – das ist nicht nur ein weißer Schimmel, sondern unaussprechliches Soziologen-Gefasel. Wer mit wem telefoniert oder wer wem schreibt – das ist gemeint. Kommunikation ist immer schon eine „Beziehung“. Wer mit wem kommuniziert – privat, geschäftlich oder politisch -, könnte daher (immer noch) versehentlich bekannt werden.

Klaus Lederer ist berliner Vorsitzender der Linken. In seinem Aufsatz „Links und libertär? Warum die Linke mit individueller Freiheit hadert“ schreibt er: „Ein das linke Denken verkleisternder, dogmatischer Grundbestand an Vorstellungen..“ oder „Diese Beschreibung darf nicht über die temporäre Faszination und Wirkungsmächtigkeit dieser Ideologie..„.

Leute, gebraucht Verben und denkt an Lenin: Wer wen? Das wollen die Leser wissen. Ung ung ung keit keit keit ion ion ion ismus ismus ismus. Neinnein, alles verboten. „Wirkungsmächtigkeit“ – welche Sprache soll das sein – Parteichinesisch? Die Ideologie wirkt und ist mächtig und fasziniert, aber nur zeitweilig. Das wäre zwar stilistisch besser, aber logisch falsch. Lederer will das Gegenteil sagen: Die Ideologie ist nicht mächtig, aber ausnahmsweise jetzt ein bisschen, obzwar nur temporär. Da müsste ich noch feilen. Übrigens: Was Lederer schreibt, ist gut und richtig und interessant.

Aber jetzt bin ich müde und gehe schlafen und benutze dazu die Glotze. Da ist alles noch viel schlimmer. Ich sollte einfach den Ton ausstellen.

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Kommentare

2 Kommentare zu “Deutsch des Grauens”

  1. Karsten Heymann (kasimon) 's status on Wednesday, 21-Oct-09 06:12:46 UTC - Identi.ca am Oktober 21st, 2009 7:12 am

    […] https://www.burks.de/burksblog/2009/10/21/deutsch-des-grauens a few seconds ago from web […]

  2. Adrian Lang (adrianlang) 's status on Wednesday, 21-Oct-09 09:00:49 UTC - Identi.ca am Oktober 21st, 2009 10:00 am

    […] Leute, so ihr denn die deutsche Sprache noch schätzt: https://www.burks.de/burksblog/2009/10/21/deutsch-des-grauens […]

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