Gebt die Drogen frei! Oder: Arbeit macht drogenfrei

Hedonismus

Zeit Online, Ihr habt jetzt zehn linkfreie „online“-Artikel frei, ohne dass ich meckere! Warum? Wegen dieses Artikels: „Gebt die Drogen frei! – Eine kühle Kalkulation von Kosten und Nutzen zeigt, dass der Kampf gegen das Rauschgift gescheitert ist. Weil er scheitern musste“. (Ein kausaler Nebensatz als Hauptsatz? Gut, man kann nicht alles haben, aber das ist Asthma-Stil).

Zentrale Botschaft: „Der ‚Krieg gegen die Drogen‘ ist eine gescheiterte Strategie, die weit mehr Schaden als Nutzen gebracht hat. (…) Der Kreuzzug gegen die Drogen wird als eine der größten Torheiten der Neuzeit in die Geschichte eingehen.“

Ja, jedes Wort wahr. Jetzt aber verrate ich euch was. Seit meinem Buch „Heroin“ (erschienen 1993) und auch schon vorher hat es immer wieder einzelne vernünftige Menschen gegeben, die genau das sagten, was man jetzt bei Zeit online liest. Ich empfehle die Artikel des Nobelpreisträgers Milton Friedman, ganz besonders: „The War We Are Losing„.

Aber das alles ist vergebliche Mühe. Es geht nicht um Argumente. Damals schrieb ich (in alter Rechtsschreibung):

„Was der Gesellschaft gerade an der Heroinsucht so aufstößt, hat wenig mit der Droge selbst, um so mehr mit der damit zusammenhängenden Subkultur zu tun. Kompliziert formuliert: ‚Die strukturelle Anfälligkeit westlicher Gesellschaften für Konflikte über die moralische und rechtliche Bewertung des Drogenkonsums ergibt sich aus der delikat ausbalancierten Stellung des Drogenkonsums in einer sowohl am Leistungs- wie auch am hedonistischen Prinzip orientierten Gesellschaft.‘

Einfacher: Wer etwas leistet, erfreut sich in Gesellschaften, die im weitesten Sinne auf den moralischen Prinzipien der protestantischen Arbeitsethik fußen, eines hohen Ansehens – und darf sich dann auch mal was Schönes gönnen. Wer freiwillig faul ist, gilt, je nach Rigidität der Norm, als sozialer Abweichler. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen, hieß es im alten Preußen. Wer dem Rausch frönt und süchtig ist, genauer: nach oder von illegalen Drogen süchtig ist, sei arbeitsunfähig und damit auch moralisch verwerflich – so jedenfalls das Klischee der öffentlichen Meinung. Man darf dem individuellen Lustprinzip huldigen, wenn man vorher etwas geleistet hat, nur dann. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.

Die Frage ist nur: Wie viele Arbeitsunwillige kann unsere Gesellschaft vertragen? Nicht ihre reale Zahl ist wichtig, sondern ihre symbolische Ausstrahlungskraft, die Faszination einer Drogen-Subkultur, die den normal arbeitenden Bürger zutiefst verunsichert. Die ‚Sucht‘, die gleichzeitig das Lustprinzip auf die Spitze treibt, ist ein Angriff auf die Moral. Sucht ist nur in der Freizeit gestattet, als Ausgleich zum Streß des Arbeitslebens, als verschämt genossenes Privatvergnügen oder im Rahmen akzeptierter Rituale wie beim Fußball oder im Vereinswesen.

Das Klischee der ‚Sucht‘ als Verweigerung der Leistung ist so in den Köpfen etabliert, daß die Realität kaum eine Chance hat: Heroinabhängige, die problemlos mit ihrer Droge versorgt würden oder werden – was wegen der Illegalisierung des Heroins kaum der Fall ist -, sind genauso arbeitswillig und -fähig wie jemand, der jeden Tag drei Schachteln Zigaretten raucht. Ihre Leistungsfähigkeit ist nicht wesentlich beeinträchtigt, noch nicht einmal, im Gegensatz zu Alkoholikern, die Fahrtüchtigkeit. Sie richten also keinen Schaden an, jedenfalls nicht mehr als diejenigen, die ohne Drogen auskommen Warum sollte also die Heroin-Sucht überhaupt behandelt oder gar therapiert werden?“

Der „Kampf gegen Drogen“ ist ein zentrales Element der protestantisch-asketischen Alltagskultur, die Mitteleuropa seit dem Mittelalter und vor allem die puritanische USA geprägt haben. Das „Sich-gehen-Lassen“ im Rausch ist das Gegenteil der Arbeit, also verboten. Und Arbeit (oder Sport) machen angeblich „drogenfrei“, wenn man der moraltheologischen Werbung und den Leitsätzen der „Therapien“ glauben will. Das aber ist Unfug.

„Im neuzeitlichen Mitteleuropa ist der Konsum von Drogen nicht, wie im Orient, in das soziale Leben integriert, er wird vom herrschenden Tugendkanon als abschreckendes Beispiel definiert, wie man es nicht machen soll. Selbstkontrolle und -disziplin gelten als unabdingbar für die Stabilität der sozialen Ordnung. Wer sich gehenläßt und dem Rausch frönt, kann seine Arbeitskraft nicht mehr eigenverantwortlich auf dem Arbeitsmarkt verkaufen. Der französische Philosoph Michel Foucault hat die These aufgestellt, die Irrenanstalten – Vorläufer der heutigen psychiatrischen und Nervenkliniken -, die es erst in der modernen Gesellschaft gibt, hätten zur Wiederherstellung der ‚kollektiven Selbstdisziplin‘ gedient. Die Gesellschaft erklärt einige Verhaltensweisen für «normal» und «nützlich», andere für verwerflich und krank. Vor diesen muß man sich schützen, indem man die Betreffenden, die sich uneinsichtig verweigern, wegsperrt“.

„‚Sucht‘ als Phänomen, das sowohl repressive staatliche Maßnahmen nach sich ziehen muß als auch nach therapeutischem Bemühen verlangt, taucht erst dann auf, wenn sich die Süchtigen als soziale Randgruppe und/oder als subversive Subkultur im Bild der Öffentlichkeit etabliert haben. Das hat mit der Realität wenig zu tun, sondern dient den jeweiligen Interessen, das Verhältnis des Bürgers zum Staat zu definieren. Die Vorstellung von ‚Sucht‘ als Krankheit ist untrennbar verbunden mit der Unterdrückung von unerwünschtem Verhalten und von Minderheiten.“

Womit wir bei der Drogenpolitik wären. „Der SS- und Polizeichef Heinrich Himmler schreibt am 5.12.1937: ‚Kein Deutscher hat daher das Recht, die Kraft seines Körpers und Geistes durch Alkoholmißbrauch zu schwächen. Er schädigt damit nicht nur sich, sondern seine Familie und vor allem sein Volk‘.“ [Ersetze „Alkohol“ heute durch „Heroin“ oder „Marihuana“.]

Ceterum censeo: Wer beim Thema Drogen auf Vernunft und Argumente baut, hat verloren und kann auch gleich Perlen vor die Säue werfen. Es geht viel mehr um Vorurteile und Moraltheologie. Und dagegen ist kein Kraut gewachsen.

Die Fotos stammen aus einem Wahlwerbespot der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands (APPD), der vom WDR 2005 abgelehnt wurde. Begründung des WDR: „Als offen­sichtlich schwer jugendgefährdende Träger­medien und daher als unzulässige Angebote im Sinne der genann­ten Norm hat die Rechtsprechung insbesondere solche ange­sehen, die die Darstellung sexueller Erniedrigungen auch unter­halb der Pornographie­grenze (vor allem sog. „Sado-Maso“ und „Bondage“-Inhalte), die Verherrlichung des sexuellen Auslebens, wahlloser Partnerwechsel oder sexueller Lust oder die Verherr­lichung oder Anpreisung des Alkohol- und Drogenkonsums sowie von Gewalt beinhalten.“

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