In Telepolis lese ich in einem Interview mit Rechtsanwalt Dr. Fredrik Roggan: „Dass Online-Durchsuchungen in der Vergangenheit aber anderweitig ohne Rechtsgrundlage durchgeführt wurden, steht zweifelsfrei fest.“
Ach ja? Ich wäre doch sehr gespannt, welche Fakten dafür vorgebracht werden können. Dass es keine Rechtsgrundlage gab, in Bayern schon gar nicht, mag unstrittig sein. Aber es gab bisher auch keine real existierenden „Online-Durchsuchungen“.
Mit dem Thema ist es ähnlich wie mit dem Gottesbeweis. Nicht die Atheisten müssen beweisen, dass es keinen Gott gibt, sondern die Verehrer höherer Wesen, dass es einen gibt. Erfreulicherweise kann man an der Chronologie der Medienberichte zweifelsfrei nachweisen, dass alle voneinander abgeschrieben haben und die These, es habe „Online-Durchsuchungen“ im Sinne Schäubles und Zierckes gegeben, schlicht frei zusammengefaselt wurde. Ich darf eine kurze Passage unsere Buches Die Online-Durchsuchung als Appetizer zitieren? (Erscheint am 29. diesen Monats)
Online-Durchsuchung zum Aussuchen
– Sueddeutsche.de (07.12.2006): „‚Es gab bereits Einzelfälle in Strafverfahren, bei denen richterlich angeordnet solche Durchsuchungen stattgefunden haben’‘, sagt Dietmar Müller, Pressesprecher des BKA in Wiesbaden. Das Verfahren sei relativ neu und erfolge ausschließlich in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft und mit richterlichem Beschluss. Aus “ermittlungstechnischen Gründen‘‘ könne Müller nicht sagen, wie die digitale Spionage technisch funktioniert.“
– Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jan Korte, Petra Pau, Kersten Naumann und der Fraktion Die Linke (22.12.2006, Drucksache 16/3787):
„Seit wann wenden deutsche Sicherheitsbehörden das Instrumentarium des ‚heimlichen Abziehens von Daten auf fremden Computern mittels spezieller Software“ (Online-Durchsuchung) an?“ – „Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über in Ermittlungsverfahren durchgeführte Online-Durchsuchungen vor.“
– Heise Newsticker (25.04.2007): Bundesregierung gibt zu: Online-Durchsuchungen laufen schon.
„Zur Anzahl der bisher durchgeführten verdeckten Netzermittlungen gab die Bundesregierung keine Auskunft. Dem Vernehmen nach gibt es aber noch Probleme bei der praktischen Durchführung der Online-Durchsuchungen. So soll von Regierungsseite beklagt worden sein, dass so viele Daten gesammelt worden seien, dass man ihrer nicht Herr habe werden können.“
– Tagesschau.de (27.04.2007): „Seit 2005 haben deutsche Geheimdienste nach Angaben des Bundesinnenministeriums knapp ein Dutzend Privatcomputer heimlich via Internet durchsucht.“
– Tagesschau.de (28.04.2007, Wolfgang Wieland im Interview): „Wir gehen auch davon aus, dass das noch nie richtig geklappt hat. Es gab technische Schwierigkeiten. Das Einschleusen hat nicht geklappt..“
– Spiegel Online (09.07.2007, Wolfgang Schäuble im Interview): SPIEGEL: „…wie etwa die heimlichen Online-Durchsuchungen zeigen. Die haben die Sicherheitsbehörden ohne gesetzliche Grundlage jahrelang angewandt. Schäuble: Moment. Es gab einen Anwendungsfall im Inland.“
– Focus Online (05.01.2008): „Reda Seyam klickte laut FOCUS die getarnte E-mail der Verfassungsschützer an und aktivierte so die erste und bislang einzige Online-Durchsuchung in Deutschland.“
– Bundesverfassungsgericht (27.02.2008): „Vereinzelt wurden derartige Maßnahmen durch Bundesbehörden bereits ohne besondere gesetzliche Ermächtigung durchgeführt. Über die Art der praktischen Durchführung der bisherigen ‚Online-Durchsuchungen‘ und deren Erfolge ist wenig bekannt. Die von dem Senat im Rahmen der mündlichen Verhandlung angehörten Präsidenten des Bundeskriminalamts und des Bundesamts für Verfassungsschutz haben mangels einer entsprechenden Aussagegenehmigung keine Ausführungen dazu gemacht.“
– Spiegel Online (01.03.2008): „Die beiden bekannten Fälle von Online-Durchsuchungen wurden gegen den Berliner Islamisten Reda S., der gute internationale Kontakte in die Dschiahd-Szene [sic] unterhält, und einen Iraner geführt, der der Proliferation verdächtigt wurde.“
Aber weil Juristen den Journalisten irrig über den Weg trauen, ist der Hoax aus der Mediensphäre in die juristische Fachliteratur eingesickert. By the way: Ich habe beim Verlag das Buch Roggans „Online-Durchsuchungen“ angefordert bzw. ein Rezensionsexemplar. Es ergab sich folgende hübsche Korrespondenz:
xxxxx@bwv-verlag.de schrieb:
> Haben Sie bitte Verständnis, dass wir Rezensionsexemplare nur abgeben
> können, wenn uns eine feste Besprechung mit genauer Angabe der
> Zeitschrift, in der die Besprechung aufgenommen wird, genannt wird.
Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass es auch freie Journalisten gibt, die vorab nicht sagen bzw. bestimmen können, wo eine Rezension erscheint. Aber dann rezensiere ich das Buch „Online-Durchsuchungen“ eben nicht. Sie werden sicher zahllose festangestellte Redakteure kennen, deren Redaktionen das Buch anfordern und sachkundig besprechen
werden.
Mit freundlichen Grüßen
Burkhard Schröder