Focus Online: Lügen durch Weglassen

Online-Durchsuchung

Das BKA-Gesetz passierte in seiner kosmetisch veränderten Form den Vermittlungsausschuss des Bundestags. (Heise) Etwas Anderes war nicht zu erwarten. On die Zitterpartie im Bundesrat zugunsten der Befürworter ausgeht, weiß man nicht – aber im Zweifel fällt die SPD um. Da ich die Anhörung der Experten im Bundestag verfolgt habe, kann ich angesichts der dortigen Vorträge ziemlich viel darauf wetten, dass die Verfassungsklagen gegen das Gesetz zahlreich in Karlsruhe einschlagen werden.

Einen – aus journalistischer Sicht – geradezu unglaublichen Artikel findet man aktuell bei Focus online: „Cyber-Cops: Wie die Polizei im Internet fahndet“. Alle Stammtischparolen der Law-and-Order-Fraktion treten gehäuft auf: Kinderpornografie, Neonazis, „jugendgefährdende Gewaltvideos“. Man fragt sich, ob den Autoren bei Focus Online ein Beamter der Sicherheitsbehörden beigeordnet worden ist oder ein Politoffizier von Markworts Gnaden, der ständig über die Schulter schaut, ob das Geschreibene auch Schäuble-kompatibel ist. Natürlich werden auch die Jugendschutzwarte abgefeiert – ohne auch nur den Hauch eines Nachfragens, ob deren Interessen wirklich dem „Schutz“ der Jugend gelten.

Focus online macht sich zum völlig unkritschen Sprachrohr und zur indirekten PR-Agentur der Befürworter der Vorratsdatenspeichung und der Online-Durchsuchung. Vom Prinzip audiatur et altera pars – also auch die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen – nicht die geringste Spur. Das Nachrichtenmagazin scheut sogar vor Lügen durch Weglassen nicht zurück.

Beispiel: „Technisch stehen den Fahndern zahlreiche Mittel zur Verfügung. Sie dürfen die E-Mails von Verdächtigen lesen, können sehen, welche Web-Seiten diese besucht haben oder hören Internettelefonate mit.“ Das ist nicht nur teilweise Blödsinn, weil man nicht nachvollziehen kann, wer welche Website ansurft, sondern schon deshalb falsch, weil jeder Verdächtige sich mit einfachen Mitteln davor schützen kann, indem er seine E-Mail-Kommunikation verschlüsselt oder anonym surft oder seinen Browser vernünftig konfiguriert. Welchen Sinn hat die Botschaft, wenn man die doch nicht unwesentliche Tatsache, dass die aufgezählten „Methoden“ nicht besonders effektiv oder schlicht gar nicht möglich sind, einfach verschweigt? Oder welchen journalistischen Wert haben boße Gerüchte wie „auch in der virtuellen Welt von ‚Second Life‘ sollen sich hinter einigen Avataren LKA-Beamte verbergen.“? Mehr als eine unabhängige Quelle? Gar keine – nur Hörensagen oder woanders Abschreiben. Auch bei Focus online sollen sich hinter einigen Autorennamen Praktikanten verbergen.

Beispiel: „Anhand der IP-Adressen kann die Polizei dann beim Provider erfahren, wer eine bestimmte Internetseite besucht oder wer eine Datei ins Netz gestellt hat.“ Grober Unfug. Basta. Wer hat denn die „Praktikantin“ Claudia Frickel gebrieft, dass die einen derartigen Quatsch schreibt, als hätte Schäuble persönlich das verfasst?

Beispiel: „Mit der Online-Durchsuchung kann die Polizei einen Schritt weitergehen: Sie darf mit Genehmigung eines Richters und bei Verdacht heimlich auf private Computer zugreifen.“ Das ist schlicht ein urbanes Märchen. Focus Online hat sich schon in der Vergangenheit als absolut unkritisches Sprachrohr derjenigen geriert, die suggerieren wollen, das ginge so einfach. Mittlerweile kann ich kaum noch an einen Zufall oder schlicht mangelnde Qualität glauben oder daran, dass man dort bei dem Thema ernsthaften Journalismus auch nur ansatzweise versucht.

Mit diesem Artiikel hat man das niedrigstmögliche Niveau noch unterschritten: Keine kritische Stimme, kein Nachfrage, keine Recherche, ob auch nur eine der kühnen Thesen technisch korrekt ist. „Journalismus“, der zum Sprachrohr der Hardliner-Fraktion in der Innenpolitik verkommen ist – einfach nur ekelhaft und politisch ohnehin widerwärtig.