Buchempfehlungen

BenzIch lese zu schnell und komme kaum noch nach, den wohlwollenden Leserinnen und geneigten Lesern von Büchern abzuraten oder sie zu empfehlen. Apropos: Es fällt mir schwar, ein Buch zu empfehlen. Die meisten belletristischen Werke lege ich nach wenigen Seiten enttäuscht weg, weil ich mich langweile oder weil ich mich angesichts des schlechten Stils ekele. Ich garantiere: Wenn ich etwas dem Publikum ans Herz lege, dann ist es gut.

Zwei Bücher habe ich schon nach wenigen Seiten wieder verworfen: „Blue Tango“ von Eoin McNamee und „Die Gouvernante“ von Stefan Chwin. Ersteres ist mitnichten spannend und auch nicht originell; der Anfang ist sogar völlig misslungen. Warum soll ich ein Werk weiterlesen, wenn mich die ersten zehn Seiten nicht interessieren? „Die Gouvernante“ spielt in den so genannten „höheren Kreisen“ in Warschau um 1900 – mit dem realen Leben der Bevölkerung hat der Plot nichts zu tun. Muss nicht sein. Ich lese ja auch nicht die Biografie von Flick oder will nichts über das Liebesleid irgendwelcher dekadenter Millionäre wissen,

Wärmstens empfehle ich von Wolfgang Benz „Überleben im Dritten Reich – Juden im Untergrund und ihre Helfer.“ Ich muss zugeben, dass ich mir nicht viel erwartete, eher – wie ich es von Benz kenne – eine dröge wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte, die man aus moraltheologischen Gründen so liest, um informiert zu sein. Hier war es anders: Die Geschichten um die einzelnen Schicksale sind zum Teil schlecht und langatmig geschrieben, aber dennoch so spannend, dass man das Buch gar nicht aus der Hand legen möchte. Der Rezensent der taz trifft das genau: „Er hebt hervor, dass gerade der ‚lakonische Grundtenor‘ der Aufzeichnungen einen Eindruck von der Dramatik der Rettungsaktionen vermittelt.“ Man bekommt einen richtigen Hass auf die Feigheit, den Opportunismus und den widerlichen Antisemitismus der übergroßen Mehrheit der Deutschen und bewundert um so mehr die, die damals schon die Zivilcourage besaßen, heimlich Widerstand zu leisten. Die Botschaft ist durchaus ambivalent: Jeder hatte andere, zum Teil sogar niedere Motive, um Juden zu helfen. Das macht das Buch so realistisch und zu einer empfehlenswerten Lektüre auch für Jugendliche. Pfarrer der „Bekennenden Kirche“ versteckten Juden, nur um sie zu bekehren. Berliner Nutten versteckten Juden im Bordell – einfach so, aus Menschenfreundlichkeit. Haarsträubend ist die Geschichte von den jüdischen „Greifern“, die hofften zu überleben, indem sie andere Juden der Gestapo ans Messer lieferten.

Am meisten gefallen hat mir der Abschnitt über den Druckereibesitzer Theodor Görner, ein linker Sozialdemokrat, der aber immer politisch heimatlos blieb. Bezeichnend die Sätze über sein Leben nach dem Krieg, als Görner eine Schraubenfabrik in Berlin-Neukölln leitete: „jahrelang lebte er als Grenzgänger zwischem dem soziademokratisch regierten Westteil und dem kommunistischen Ostteil Berlins – eine Situation, die man als bezeichnend für sein ganzes politisches Leben betrachten könne. Aus des SED war der Nonkonformist bereits 1946 ausgetreten, unmittelbar nach der Zwangsvereinigung von SPD und KPD. Obwohl Görner nach eigenem Bekunden ‚das sowjetzonale System‘ aus Gewissengründen ablehnte und diese Meinung auch offen vertrat, bliebe er weitgehend unbehelligt, denn in seinem Wohnort Woltersdorf war er wegen seiner antifaschistischen Vergangenheit ein angesehener Mann. Den bundesrepublikanischen Umgang mit der Vergangenheit kommentierte er Freunden gegenüber später nicht ohne Verbitterung – mit Bemerkungen über die ‚Zuhälter“ des ‚Idioten Hitler“ etwa, die zum Teil wieder ‚in Amt und Würden‘ seien, oder die Stilisierung der Generale des 20. Juli, die in Wahrheit ‚jahrelang alles mitgemacht‘ hätten. Der Mann ist offenbar immer noch aktuell.

Görner sah sich als „Weltbürger und Philanthrop“. Das Bundesverdienstkreuz, was ihm später verliehen wurde, betrachtete er „eher skeptisch“. „Mit Matthäus 6,3 glaubte er, die eigenen Gerechtigkeit nicht öffentlich zur Schau stellen zu sollen.“ Mit Görner hätte ich mich sicher sehr gut verstanden.

Jetzt lese ich gerade von Patrícia Melo „Inferno“ – ein Roman über eine Jugend in den Favelas von Rio. Die ersten Seiten haben mir sehr gut gefallen, auch stilistisch; es verspricht, eine spannende Lektüre zu werden.

Parallel dazu lese ich von Andreas „Spider“ Krenzke: „Im Arbeitslosenpark“. Zunächste dachte ich, das sei eine Art Textversion der Cindy aus Marzahn, ein Buch, das man auf dem Klo liest oder in der U-Bahn. Aber weit gefehlt: Der Kerl kann wirklich gut und zynisch und mit abgrundtiefem schwarzen Humor schreiben. Ich musste ein paar Mal schallend lachen, obwohl das Büchlein nur leichte Hausmannskost ist. Über die Berufswahl in der DDR: „Der eine war vielleicht Rockmusiker, das wurde in der Berufsberatung so festgelegt, da konnte man nichts machen, und der konnte dann seinen eigentlichen Neigungen nur in der Freizeit nachgehen, Zum Beispiel Leute bespitzeln.“

Oder über einen seiner Gelegenheitsjobs: „‚Sag mal‘, frage ich den Chef. ‚wie viel zahlst du der Leiharbeitsfirma für jeden von uns?‘ ‚Zweiunddreißig Mark die Stunde.‘ ‚ Wir bekommen von denen elf. Stell uns doch für achtzehn Mark befristet ein, ist besser für uns alle. Wir kommen doch gut miteinander klar und sind ein flottes Kollektiv.‘ ‚Ach ich weiß nicht, das ist irgendwie branchenunüblich.“

Das Buch kann ich schon jetzt empfehlen – eignet sich als Geschenk zu Geburtstagen, wenn man nicht zu viel ausgeben will, wenn der Empfänger mit Büchern nicht so viel anfangen kann, man aber trotzdem das Lesen fördern will.