Tron – Tod eines Hackers

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Heute vor zehn Jahren, am 17. Oktober 1998, verließ der Hacker Boris Floricic, auch bekannt als „Tron„, die Wohnung seiner Mutter. Am 22. Oktober wurde er erhängt in eimem Britzer Park aufgefunden. Ich habe das Buch Tron – Tod eines Hackers geschrieben, das 1998 bei Rowohlt erschienen, aber schon seit langem vergriffen ist. Daher biete ich das Buch seit August 2002 als Online-Ausgabe [via Paypal] an.

Aus dem Vorwort zur Online-Ausgabe:

Die Nachfrage nach dem Buch „Tron – Tod eines Hackers“ hält bis heute an. Deshalb habe ich mich entschlossen, das Buch zum Download auf meiner Website anzubieten. (…) Ich habe versucht, die zum Teil heftigen öffentlichen Auseinandersetzungen – vor allem im Usenet – auf der Website zum Buch so weit wie möglich zu dokumentieren. Die Verschwörungstheorien zum Fall „Tron“ reißen nicht ab, obwohl kaum noch jemand mit den Details des Falles vertraut ist. Neue Tatsachen wurden bisher nicht bekannt, auch wenn das die Anhänger der Mordthese behaupten. Davon kann sich jeder überzeugen, der die Korrespondenz durchforstet, die etwa auf www.tronland.de einzusehen ist. Die wütenden Tiraden gegen den Autor seitens einiger Mitgliedes des „Chaos Computer Club“ sprechen für sich und brauchen nicht weiter kommentiert zu werden.

Der Autor bleibt daher bei seiner These, dass es sich um einen Suizid handelte. Nicht alle Hinweise, die dafür sprechen, können und sollten öffentlich diskutiert werden. Die Untersuchungsergebnisse der Mordkommission sind ohnehin eindeutig. Auch die angeblichen „Recherchen“ des „Chaos Computer Club“ haben bisher weder ein mögliches Motiv für einen Mord noch mögliche Täter nennen können. Man gibt sich mit einem öffentlichkeitswirksamen, aber sinnfreien Geraune über „Geheimdienste“ und andere finstere Gesellen zufrieden. Die These, dass Hacker gefährlich leben, entspricht nicht der Realität, sondern dient nur ein Mittel, sich selbst zu inszenieren. Auch hierzu wurde und wird der Mythos um Tron benutzt.

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Hacking In Progress 97, Tron (Mitte, sitzend) erläutert „die Geheimnisse der Smartcards“ – Telepolis-Archiv

Aus dem letzten Kapitel:

Auch im Berliner Chaos Computer Club hat Boris F. keine wahren Freunde gefunden. Er sei immer sehr früh am Abend wieder gegangen, erinnert sich Andreas Bogk, der ihm mit am besten kannte. Das bestätigen die, die mit dem Club nichts, aber mit Tron viel zu tun hatten. Seine Familie sei ihm „heilig“ gewesen. „Er hat seiner Mutter immer und sofort Bescheid gesagt, wenn er nicht rechtszeitig zu Hause sein konnte. Das war seine typische Charaktereigenschaft.“ Und Andreas H., Boris’ Geschäftspartner, ist der Meinung, sein Freund sei kein Mitglied des CCC gewesen. Das habe der ihm so geschildert. „Ich kann mich mit einigem von dem identifizieren, was die machen“, habe Boris gesagt, „die machen aber viel Scheiss’.“ Boris habe über den CCC – vielleicht nicht ganz ernsthaft – gespottet: „Zu viel Gelaber, zu viel Gekiffe, zu wenige Gespräche über Technik.“ – „Tron ist nie zu Feten gegangen.“ (…) Von Andreas Bogk wird behauptet, er sei der einzige, der Boris jemals in dessen elterlichen Wohnung aufgesucht habe. Genau weiss das niemand, weil Boris’ Mutter meistens tagsüber arbeitete und er allein zu Hause war.

Martin Ebert zitiert in einem Brief an den Autor ein prominentes Mitglied des Berliner CCC mit den Worten, dass es zwischen Boris und dem Chaos Computer Club „praktisch keinen fachlichen Kontakt“ gegeben habe. „Er kam wohl zwar zu den Wochentreffen ccc/bln, setzte sich aber in die Ecke und lötete.“ Eberts Vermutung: „Es gab eine (lose) Gruppe von Milchbärten. Die war praktisch autonom. Der Knabe [Tron., B.S.] war schüchtern, nach innen gerichtet, möglicherweise ordentlich Selbstzweifel, abgelöst von Höhenflügen.“ Boris sei möglicherweise real oder in den Gedanken anderer zu einer Bedrohung geworden. „Vielleicht haben die das aus Großmannssucht sogar verstärkt. (…)“

Boris F. hat sich im letzten Jahr seines Lebens intensiv mit dem vor zehn Jahren verstorbenen Hacker Karl Koch auseinandergesetzt – und mit dem Mythos, der sich um dessen Person rankt. Die mysteriöse, brüchige Person des posthumen Helden eines Films ragt überlebensgross aus den Anfängen des Hacker-Milieus in die Szene der neunziger Jahre. Davon hat Tron erzählt – das Thema schien ihn zu fesseln. Zum Mythos wird jemand, der keine Gelegenheit bekommt, sich dem Leben zu stellen – von James Dean bis Lady Di, von Che Guevara über Bob Marley bis Jimmy Hendrix. Ein Mythos muss vage, schillernd und geheimnisvoll sein, um denjenigen, die ihn für sich ausnutzen, genügend Projektionsfläche zu bieten. Es geht nicht darum, was die mythische Person real war oder was sie getan hat, sondern darum, was die anderen glauben und hoffen.

Der US-amerikanische Präsident John F. Kennedy soll gesagt haben: „Der grösste Feind der Wahrheit ist nicht die Lüge, sondern der Mythos.“ Der Mythos Tron wird weiterleben, so wie der reale Tron es sich gewünscht hätte.“