Offener Brief Susanne Härpfers an die Journaille

Liebe Kollegen,

normalerweise schreiben wir über andere. Die Selbstdarstellung überlassen wir Showgrößen in Talkshows. Eine Ausnahme sei gestattet, wenn wir Bücher vorstellen. Ansonsten sind Journalisten nur noch in Spielfilmen die Helden. Um so mehr bin ich gerührt, dass es offenbar in der Welt der blogs noch die Solidarität gibt, wie sie in den Hollywoodstreifen idealisiert wird: Politiker will kritische Berichterstattung verhindern – doch weltweit wird die Information verbreitet. Die Schweigespirale, sie greift nicht. Nicht alle Journalisten lassen sich mundtot machen. Klingt pathetisch? Vielleicht. Aber um nichts weniger geht es hier. Um die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Um die Einflussnahme auf redaktionelle Unabhängigkeit. Und um den Glücksfall, dass dieser Fall öffentlich wird. Denn wie oft mögen Politiker und Beamte einschlägiger Behörden mit festangestellten Redakteuren sprechen und freie Kollegen diffamieren, Desinformationen streuen und Gerüchte in die Welt setzen mit dem Ergebnis, dass diese keine Aufträge mehr bekommen; jedoch nicht die wahren Hintergründe bzw. Hintermänner erfahren. Denn wer von uns macht schon stets und ohne Ansehen der Person einen breiten Rücken und pocht auf die Beleglage, wenn ihm erzählt wird, „hast Du schon gehört, der soundso hat doch xxx“.

Um so mehr möchte ich mich auf diesem Weg bei dem mir nicht persönlich bekannten Kollegen von Radio Eins des RBB bedanken für das herrliche Interview mit Herrn Edathy. Das dazu passende ideo auf youtube hat mich zum Lachen gebracht. Dank auch an Fefe – die Einladung des Chaos Computer Clubs nehme ich hiermit gerne an.

Danke an Rechtsanwalt Riethmüller für seine kenntnisreiche Schilderung der Hintergründe auf seiner Seite des R-Archivs. Viele Journalisten bedienen sich gerne seiner Information, doch oops, vergessen allzu häufig, die Quelle zu nennen. Daher an dieser Stelle: danke. Vor allem aber natürlich ein großes Dankeschön an Burkhard Schröder, der als erster den Fall aufgriff, aufwändig recherchierte und Stellungnahmen in einem Umfang einholte, als sei dies bereits der Auftakt für die Staatsaffäre. Ich betone dies so, damit nicht der Eindruck entsteht, ich würde mich nicht in blogs äußern.

Ich habe lange nicht auf die falschen Tatsachenbehauptungen des Herrn Edathy und die unzutreffenden Darstellungen von Zeit/online reagiert. Ich wollte nicht in einen Kleinkrieg um Nebensätze hineingezogen werden, der den Hauptvorfall vergessen mache würde. Vor allem aber: ich habe leider nicht die Zeit, die Herr Edathy und sein Mitarbeiterstab offenbar zu haben scheint. Ich bin eine freie Journalistin, die obendrein noch investigativ arbeitet, (…) und das angesichts von Honoraren von € 120 bis € 180, wie sie selbst große Verlage für online-Texte zahlen. (…)

Oder wie anders ist es zu bezeichnen, wenn für mehrere Tage Arbeit, Beschaffen Nicht-öffentlicher Papiere ein Honorar gezahlt wird, dessen Stundensatz dem einer Putzfrau entspricht? Dazu bei Gelegenheit mehr. Nur, wenn ich dies jetzt schreibe, heißt dies, dieser Tag fehlt mir, um bei Redaktionen nachzuhaken, was aus meinen Vorschlägen geworden ist, die Zeit fehlt, um bestehende Aufträge abzuarbeiten, oder den Anforderungen der staatlichen Bürokratie zu genügen, oder um neue Themen zu finden, (…) wir bezahlen diejenigen am schlechtesten, die angeblich die wichtigsten Aufgaben unserer Gesellschaft wahrnehmen. Trotz all der beschworenen angeblichen Terrorgefahr verdienen ausgerechnet die Wachleute nur € 5 die Stunde, und die Wächter der Demokratie, die investigativen Journalisten, verdienen noch weniger, zumindest, wenn sie frei sind.

Wolfgang Michal wies darauf hin, dass ich für den Henri Nannen Preis nominiert war, weil ich bereits 2003 über das berichtet habe, was u.a. durch meine Berichterstattung später zum Visa-Skandal wurde. Deshalb vermutete ich auch einen späten Racheakt des Herrn Edathy wegen meiner Recherche in Sachen Visa. Doch dann erhielt ich das Schreiben des Herrn Edathy, und mir schien möglich, dass er den Visaskandal längst verdrängt hatte, meinen Namen noch nicht einmal gegoogelt hatte. (…)

Ich habe als freie Journalistin das Thema Postdatenübermittlung entdeckt, recherchiert und u.a. Zeit online angeboten, die anbissen, es veröffentlichten und angesichts der „Klick-Furore“, die mein erster Artikel zum Thema machte, mir den Auftrag gaben, das Thema weiterzuverfolgen. Ich musste also davon ausgehen, dass dies auch nach der nicht-öffentlichen Innenausschußsitzung der Fall sein würde; in diesem Kontext habe ich mit Herrn Edathy gesprochen. Würde ich den kompletten Verlauf seiner Antworten im Telefonat veröffentlichen, er sähe noch weitaus uninformierter und unvorteilhafter aus, als im Heise-Artikel.

Zusammenfassend lässt sich sagen: meine Berichterstattung Anfang dieses Jahres für und bei Zeit online zum Thema Postdatenübermittlung hat wohl verhindert, dass die USA sich mit dem Vorstoß, künftig auch alle Briefdaten elektronisch zu erfassen und vorab an die Strafverfolgsbehörden der USA zu übermitteln, in einem Gremientreffen vorbei an jeglicher (parlamentarischer) Öffentlichkeit durchgesetzt hätte; wie dieses zuvor 2002 geschehen ist, als einfach ohne die (parlamentarische) Öffentlichkeit zu informieren, der US Trade Act in Deutschland in Bezug auf Express-Sendungen umgesetzt wurde.

(…) Immerhin ist u.a. bis heute die Frage ungeklärt, wer von der rot-grünen Regierung damals die klammheimliche Umsetzung des US Trade Acts auf Express-Sendungen billigend in Kauf nahm. Und das Treffen des Weltpostvereins u.a. zu diesem Thema steht im Sommer dieses Jahres an. Auf das sich nicht dasselbe wiederholen möge, was mit den biometrischen Sicherheitsmerkmalen geschah. Über die habe ich nämlich 1989 erstmals geschrieben – für den Spiegel – damals war ich noch Studentin, und erhielt 1200 Deutsche Mark für den Artikel. Doch niemand griff das Thema auf, und so kam es, dass zwei deutsche Beamte zur Tagung der internationalen Luftfahrtorganisation ICAO nach Kanada flogen, und für die Einführung der Pässe mit biometrischen Daten votierten. Ein Beschluß der ICAO muß umgesetzt werden. Man hätte es vorher wissen können, statt hinterher Technikfolgeabschätzung zu betreiben. Man hätte es verhindern können. Wenn man denn nur gewollt hätte.

Von ähnlichen Erfahrungen berichteten mir diejenigen, die sich auf europäischer Ebene mit Datenschutzfragen beschäftigen. Es habe sehr, sehr lange gedauert, bis man Journalisten für das Thema Fluggastdaten habe interessieren können, und als es so weit war, war die Maßnahme längst beschlossen. Für frühzeitige Berichterstattung müsste man lesen, sehr viel lesen. Das aber kostet Zeit. Die müsste bezahlt werden. Der Aufwand müsste anerkannt und wertgeschätzt werden. Heute aber wird nicht derjenige belohnt, der diesen Aufwand betreibt. Im Gegenteil. Wer für eine solche Recherche rund eine Woche benötigt, erhält die gleichen € 180, wie jemand, der binnen einer Stunde über Sex in Budapest schreibt. Wer recherchiert, wird doppelt bestraft. Denn heute gilt in Redaktionen oft derjenige als „king“, der ein sogenanntes Telefonbuch hat, also jemanden anruft, der ihm erzählt, was er zu denken und zu schreiben hat. Beleglage, Gesetzestexte, Dienstanweisungen, Texte selber aufzufinden, lesen und recherchieren, das ist zur Ausnahme geworden, und wird eher misstrauisch bis ungläubig beäugt, ja sogar unterschwellig wird vermittelt, wer lange braucht, sei nicht gut genug. Manchmal werden auch Stellungnahmen verlangt für Sachverhalte, die Reporter auch selbst recherchieren können. Doch dies wird immer weniger gewollt, „Experten“ müssen das formulieren, was auch durch Nachdenken Journalisten selbst schlussfolgern könnten. Aber auch dies wird nicht bezahlt. (…)

Die 4. Gewalt ist pleite.
Aber wie gesagt, dies ist eine weiteres Thema. Wie wollen wir Menschen dafür gewinnen, Missstände in Unternehmen und Behörden offenzulegen, wenn wir dies in Wahrheit gar nicht wertschätzen? Wenn wir selbst nicht den Mumm haben, für redaktionelle Unabhängigkeit einzustehen? Den Einflussnahmen von Unternehmen oder Politikern
entgegenzutreten. Ein breites Kreuz zu haben. Für einander einzustehen, statt Gerüchten zu glauben. Einfach einmal „nein“ zu sagen. (…)

[Von mir leicht gekürzt. Burks]