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Dieser Artikel
erschien am 1.10.1993
in der ZEIT
.Bankrott der Drogentherapie
  - Heroin allein ist nicht schuld. Eine Studie belegt, daß der Drogentod viele Ursachen hat.
Nur das ist unstrittig: Wer zuviel Heroin konsumiert, kann davon sterben. Das gilt auch für Alkohol, Barbiturate oder Tranquilizer. Warum die Zahl der Drogentoten aber gerade in Deutschland in den letzten Jahren dramatisch angestiegen ist, warum sich Junkies eine Überdosis spritzen und wer warum in die Kategorie Drogentoter fällt, ist keinesfalls geklärt.

Niemand weiß genau, wie viele Menschen in Deutschland von Heroin abhängig sind. Ihre Zahl schwankt, je nach Schätzung, zwischen 30000 und 400000 Personen. Die Diskussion über die Gefahren des Drogenmißbrauchs krankte bisher daran, daß kaum verwertbare Fakten vorlagen. Die einzige Informationsquelle der Medien und der Bundesregierung ist die Deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren (DHS) in Hamm. Kritiker werfen ihr vor, mit ihren Verlautbarungen zum Thema vorwiegend Lobbyarbeit für die Träger der Abstinenztherapien zu betreiben, also beispielsweise für kirchliche Einrichtungen, die den absoluten Drogenverzicht als Therapiekonzept predigen.

Neues indes findet sich in der Studie Drogennot- und -todesfälle, gefördert vom Bundesgesundheitsministerium. Die rechtsmedizinischen Institute der Universitäten Hamburg und Berlin, das Berliner Sozialpädagogische Institut und in Bremen der rechtsmedizinische Dienst sowie das Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin untersuchten 545 Todesfälle zwischen Juli 1991 und Juli 1992, immerhin ein Viertel der insgesamt registrierten Todesfälle während dieser Zeit.

Das Ergebnis ist offenbar so brisant, daß die Daten bis jetzt unter Verschluß gehalten wurden. Aus der Untersuchung kann nämlich geschlossen werden: Die deutsche Drogenpolitik und der Vorrang des Abstinenzdogmas sind mitverantwortlich für den Drogentod. Diese These kann jetzt mit wissenschaftlich erhobenem Zahlenmaterial belegt werden.

Reines Heroin ist nicht gesundheitsschädlich. In der Studie heißt es: Auf die direkte Drogeneinwirkung zurückführende Organschäden sind bei Opiaten (im Gegensatz zu Alkohol) auch bei chronischem Konsum nicht zu erwarten.

Der elend aussehende Fixer, der das Image des Heroinkonsumenten prägt, leidet an Hepatits, Lungenkrankheiten, Abszessen oder Aids - Folgen der sozialen Verelendung und einer mangelnden medizinischen Betreuung. Hinzu kommt, daß die illegale Droge Heroin von Dealern im Straßenverkauf mit Substanzen wie Puderzucker oder gar Waschpulver gestreckt wird. Diese Beimengungen haben aber in keinem der untersuchten Fälle zum Tod geführt.

Wann kommt es zum sogenannten goldenen Schuß? Der Begriff Überdosis ist relativ und hängt von der aktuellen Toleranz des Süchtigen ab. Die individuelle Wirkung des Heroins sei, so die Verfasser der Studie, noch viel zu wenig erforscht. Auch bleibt in einer großen Anzahl von Todesfällen ungeklärt, ob es sich um einen beabsichtigten Selbstmord oder um eine nicht beabsichtigte, unfallmäßige Überdosierung handelt.

Überdies brachte die Untersuchung ans Licht, daß 85 Prozent aller Drogentoten Männer sind, obwohl sie bei Heroinabhöngigen insgesamt nur 60 Prozent ausmachen. Diese Zahl ist jedoch nur eine grobe Schätzung. Genau festlegen läßt sie sich nicht, da Heroinkonsumenten, die nur gelegentlich Heroindämpfe inhalieren oder die feste Droge sniefen (in die Nase hochziehen), nicht immer abhängig sind.

Warum mehr Männer als Frauen an Drogen sterben, hat wohl zwei Gründe: Zum einen greifen männliche Heroinsüchtige häufiger zu Alkohol. Die legale und am weitesten verbreitete Droge verstärkt die atemdepressive Wirkung des Heroins und kann in Kombination mit einer hohen Dosis zum Tod führen. Zum anderen gibt es für abhängige Frauen, die sich häufig prostituieren, mehr geschlechtsspezifische Hilfsprojekte, zum Beispiel Frauenläden und andere Projekte, die ausschließlich für weibliche Junkies gedacht sind. Weibliche Süchtige konsumieren außerdem eher Tranquilizer und Barbiturate, um sich "zuzuknallen."

Selbst der Begriff Drogentote ist bis jetzt unscharf definiiert. Die von der DHS veröffentlichten Zahlen dürften reine Spekulation sein: In Deutschland gehört auch derjenige zur Kategorie der Drogentoten, der wegen Fehlverhaltens aus einer Zwangstherapie geworfen wird und sich aus Verzweiflung mit Alkohol und Schlaftabletten umbringt. .

Mehr als die Hälfte aller Heroinabhängigen ist nicht freiwillig in einer Drogentherapie, sondern hat sie als Alternative zum Gefängnis gewählt. Die Gerichte können bei einem Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz von einer Strafe absehen, wenn der Delinquent willig ist, sich therapieren zu lassen. In den Drogentherapien sind Abbrüche jedoch an der Tagesordnung. Danach drohen Betreuungsverlust, eventuell Widerruf der Bewährung und Haftbefehl. Das Bundeskriminalamt, kritisiert die Studie, nehme sogar Selbsttötungen aus Verzweiflung über die Lebensumstände in die Statistik der Drogentoten auf, zum Beispiel einen Sprung vom Hochhaus. Die Zahlen gelten dann als Beweis für die Gefährlichkeit des Heroins, nicht als Beleg dafür, daß die Kriminalisierung der Abhängigen diese oft in den Selbstmord treibt.

Auch nur ein vager Verdacht, etwa eine zufällig neben einem Toten liegende Spritze, reiche, so die Studie, viel zu häufig zur Registrierung eines Rauschgifttodesfalles aus. Die Praxis vieler Staatsanwälte, neuerdings bei Drogentodesfällen von vornherein von gerichtlichen Sektionen abzusehen, kann als Anleitung zum perfekten Mord angesehen werden. Deuten die Umstände darauf hin, daß das Opfer drogenabhängig war, wird offenbar in der Regel nur noch sehr nachlässig ermittelt.

Fast immer gingen, so schließt die Studie, dem Drogentod und auch den Drogennotfällen eine dramatische Zuspitzung der Lebenssituation voraus, etwa die Trennung vom Lebenspartner. Drei Viertel aller Drogentoten waren arbeitslos, die wenigsten wohnten in den letzten drei Monaten vor dem Tod eigenständig oder selbstbestimmt.

Häufigste Todesursache ist wohl ein "Konsummusterwechsel": Die Junkies können nach einer Clean-Phase, etwas nach einem Aufeinthalt im Gefängnis oder in einer Therapieeinrichtung, bei einem Rückfall die gewohnte Menge nicht mehr einschätzen. Rund ein Viertel aller Drogentoten hatte innerhalb eines Zeitraums von einem Monat vorher eine Therapie regulär beendet oder abgebrochen. Das heißt: Trotz erfolgreichen Abschlusses einer Therapie, der als solcher in die Statistik eingeht, kommt es in manchen Fällen kurz darauf zu einem Rückfall - oft mit tödlichem Ausgang.

Einrichtungen, die eine Abstinenztherapie verfechten, weigern sich bisher durchweg, eine Abbruchberatung für ihre Insassen anzubieten. Und das, obwohl viele die Therapie abbrechen - wie viele es sind, schwankt je nach Therapieform und je nachdem, wer die Zahlenmit welcher Intention ermittelt.

Auch das Berliner Selbstthilfeprojekt Synanon berät seine vielen Abbrecher nicht: Wer die Probezeit bei Synanon übersteht, wird genötigt, seine Wohnung aufzugeben, und hat dann bei einem Rückfall keine Bleibe mehr. Die Autoren der Studie geben deshalb alles Therapeuten den dringenden Rat, sie sollten mit disziplinarischen Maßnahmen, die kurzfristig zur Entlassung führen, äußerst vorsichtig umgehen. Gemeint sind damit beispielsweise Anordnungen, den Kontakt zu rückfällig gewordenen Partnern abzubrechen.

Sogenannte Kriseninterventionsstellen, wo Sozialarbeiter und Ärzte Tag und Nacht Hilfe leisten, könnten gleichfalls die Zahl der Toten veringern. Eine typische Risikosituation für Heroinabhängige sei, sie die Rechtsmediziner, eine Überdosierung im öffentlichen Raum: Die Junkies spritzen schnell und gehen fahrlässig mit "Pillen" um, aus Angst, erwischt zu werden. Selbst in Privatwohnungen greifen Anwesende häufig genug nicht ein, entweder aus mangelnder Sachkenntnis oder, wenn sie auch abhängig sind, aus Furcht, von der Polizei behelligt zu werden.

Die Autoren der Untersuchung dordern als pragmatische Sofortmaßnahme mehr Möglichkeiten für den "warmen" Entzug. Das heißt: langsames "Ausschleichen" mit Medikamenten oder medikamentengestützte Entzüge. Die sind - auch in Zentren des Drogenmißbrauchs wie Berlin, Frankfurt oder Hamburg - immer noch die große Ausnahme. Niedrigschwellige Angebote, die den Willen zum sofortigen Ausstieg nicht voraussetzen, verminderten der Studie zufolge die Gefahr des sozialen und körperlichen Abstiegs und somit des Drogentodes.

Die Kriminalisierung der Süchtigen müsse unbedingt aufhören. Das bedeute nicht, den Stoff unkontrolliert abzugeben. Das Reizwort Legalisierung wird nicht ausdrücklich genannt, aber angedeutet: Die Einnahme eines immer gleich konzentrierten und reinen Heroins unter sterilen Bedingungen könnte womöglich für die Konsumenten einen risikomindernden Stellenwert haben.

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