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Dieser Text
erschien am 22.07.99
im Berliner
Tagesspiegel
.Der Computer, der Kamerad
  - Danny Thüring war Anführer einer Neonazi-Gruppe. Deshalb sitzt er heute im Knast. Und macht, wenn er Ausgang hat, als Webdesigner Karriere. Jetzt träumt der Rechte von einst von der Basisdemokratie im Internet. Aber es ist schwierig, eine Vergangenheit wie seine loszuwerden.
Die Biografie von Danny Thüring erscheint gradlinig wie ein deutsches Lineal: Abitur, Studium der Betriebswirtschaft, Flucht aus dem Mief einer sachsen-anhaltinischen Kleinstadt nach Frankfurt am Main, Software-Programmierer in einer Multimedia-Firma. Er ist 25 Jahre alt und hätte eigentlich keinen Grund zu klagen, verdient er doch ein Mehrfaches von dem, wovon Gleichaltrige in seiner Heimat Wittenberg oft nur zu träumen wagen. Dafür nimmt er eine 80-Stunden-Woche achselzuckend in Kauf.

Zugegeben, es ist unangenehm, wenn man als Webdesigner nur zwölf Stunden Ausgang am Tag hat. Thüring sitzt noch bis zum Herbst in der Justizvollzugsanstalt Frankfurt IV ein, im Gustav-Radbruch-Haus. Man verlangt, dass sich Freigänger wie er um 22 Uhr wieder in ihren Zellen einfinden. Wer sich zusätzlich noch eine Wohnung in Freiheit leistet, überweist 300 Mark Miete für die Zelle an die Staatskasse. Ein Multimedia-Experte zahlt das aus der Portokasse.

Ein Knastbruder als Mitarbeiter? In jungen dynamischen Firmen gibt man sich tolerant; gute Leute sind rar gesät. Thüring arbeitete zuverlässig und exzellent, die Kunden waren zufrieden. Irgendwann kam die Polizei und holte den Webdesigner ab. Ein halbjähriger Gefängnisaufenthalt wegen Besitzes psychotropher Substanzen? Jugendsünden. Kann jedem passieren. Solange der Mann Leistung bringt, kann es so schlimm nicht sein. Jörg Weber, der damalige Chef des Unternehmens, einer der Gründer der öko-Bank und heute Inhaber einer eigenen E-Commerce-Firma, organisierte einen guten Anwalt für Danny Thüring. Bald durfte er wieder an seinen Arbeitsplatz zurück. Jeder, der gefragt wurde, stellte ihm eine günstige Sozialprognose. Aber seine Vergangenheit lässt ihn nicht in Ruhe. Wenn Danny Thüring manchmal in der Nacht an seine Zellendecke starrt, sieht er zwei Menschen in ihrem Blut.

17. April 1997, S-Bahnhof Berlin-Adlershof, morgens kurz vor vier: Ein schwarzer Audi V 8 steht am Straßenrand, die Türen weit aufgerissen. Ein Mann kauert im Fond, er röchelt und blutet aus einem Messerstich in der Brust. Er hat nur noch wenige Stunden zu leben. Ein zweiter liegt regungslos auf der Fahrbahn, er wurde erstochen. Die Täter, die mit im Auto saßen, sind geflohen. Die anderen Mitfahrer, ein junges Mädchen und zwei Männer, warten fassungslos auf einen Rettungswagen. Einer von ihnen ist Danny Thüring, langjähriger Drahtzieher der Neonazi-Szene in Sachsen-Anhalt, Gründer der mehr als achtzig Köpfe zählenden militanten "Kameradschaft Elbe-Ost" nach der Wende, die später den Namen "Kameradschaft Wittenberg" bekam. Die Toten sind: Chris Danneil, 26, Thürings Nachfolger als "Kameradschaftsführer", und Olaf Schmidtke, 32, ehemals Türsteher in einem Bordell.

Auch die Täter gehören zur rechtsextremistischen Szene. Sie werden wenig später von der Polizei gefasst. Lutz Schillock, der die tödlichen Messerstiche führte, und Detlev Nolde alias Cholewa. Beide gelten seit über einem Jahrzehnt als führende Aktivisten des braunen Mobs in Berlin. Die rechte Gesellschaft kam von einem Polterabend eines Berliner Neonazis in einer Laubenpieper-Kolonie am Königsheideweg, während der, den Gepflogenheiten entsprechend, ziemlich viel Alkohol getrunken wurde. Täter und Opfer kannten sich kaum. Die Wittenberger hatten sich bereit erklärt, die Berliner "Kameraden" ein Stück mitzunehmen. Während der Fahrt spielte ohrenbetäubende Skinhead-Musik. Es kam zu einem Streit zwischen den vier Personen auf dem Rücksitz; worum es ging, kann nicht mehr geklärt werden, angeblich soll die Frage, wann die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei verboten wurde, eine Rolle gespielt haben. Nolde und Schillock steigen aus, auch die Wittenberger Danneil und Schmidtke. Es geht alles ganz schnell: Nolde sprüht Tränengas, Schillock zieht ein langes Messer und sticht Danneil direkt ins Herz. Dann verwundet er auch Schmidtke tödlich.

Während des Mordprozesses ein Jahr später marschieren die einschlägig bekannten Neonazi-Anwälte Deutschlands auf. Thüring ist als Zeuge geladen. Der Haupttäter Lutz Schillock wird zu vierzehn Jahren Haft verurteilt. Der Richter spricht von "sinnlosen Taten aus nichtigem Anlass. Noldes Anwalt Hans-Günther Eisenecker erreicht Haftverschonung für seinen Mandanten. Das Gericht erkennt keine "direkte Tatbeteiligung" und verhängt ein Strafmaß von zwei Jahren und sechs Monaten. Die offenen Bewährungsstrafen Noldes wegen gefährlicher Körperverletzung - er hatte mehrfach linke Jugendliche schwer misshandelt - fallen offenbar nicht ins Gewicht."

Danny Thüring ist mittelgroß und hat ein offenes Gesicht, aber er wirkt sehr schüchtern. "Ich bin nie auf Leute zugegangen", sagt er. In der Kneipe im Frankfurter Osten, die er für ein Treffen vorgeschlagen hat, grüßt ihn fast jeder. Hier verkehren offenbar nur Software-Spezialisten aus den zahlreichen E-Commerce-Firmen, die sich in den spartanisch-hässlichen Industriegebäuden ringsum angesiedelt haben. Thürings Finger greifen immer wieder zur Zigarette, die Ärmel seiner blauen Bomberjacke entblößen Tätowierungen. Das Handy liegt griffbereit, "falls einer aus der JVA kommt und kontrolliert, wo ich bin."

"Ja, ich fühle mich als Neonazi-Aussteiger", sagt Thüring. Zwischen Schule und Webdesign war sein Leben eine Achterbahn. In seiner Jugend litt er an Knochenkrebs. Ein Bein wurde ihm unterhalb des Knies amputiert. "Ich habe immer noch meine DDR-Prothese, obwohl ich mir jetzt etwas Besseres leisten könnte." Beim Gehen zieht er den Fuß nach. Wie wird so einer Neonazi-Anführer? Sein Großvater war bei der Waffen-SS. Dessen Geschichten aus dem Krieg klangen anders als die aus dem Schulunterricht. Der blasse Schüler Thüring fällt positiv im Unterricht auf, als er für ein Referat das Oberkommando der Wehrmacht im Original zitiert, aber er denkt nicht rechts. Er liest Bücher über den Zweiten Weltkrieg, seine andere Leidenschaft ist der Computer. Sein Vater besitzt einen DDR-Rechner der Marke KC 85, bald nach der Wende steht ein C 64 im Keller.

Die Gymnasiasten haben nie Geld. Es spricht sich herum, dass der Wirt einer Kneipe in der Altstadt häufig Lokalrunden ausgibt. Dort trifft sich auch die rechte Szene. Thüring fühlt sich noch als eine Art Hooligan, mit rotem Kopftuch und "Riders"-Jacke, obwohl er sich wegen seines Beins nie hätte prügeln können. "Vielleicht musste ich auch meine Behinderung kompensieren", gibt er unumwunden zu.

Langsam gerät er auf eine gefährliche Bahn. Er weiß heute nicht mehr, was Zufall oder Absicht war oder ob er die Entwicklung nur untätig gebilligt hat. Wer keine Freunde hat, nimmt manchmal vieles in Kauf, wenn er jemanden kennen lernt, der ihn nicht sofort zurückstößt. Der Preis dafür, falsche oder fragwürdige Freunde zu verlassen, ist hoch: die Einsamkeit.

Er gilt schnell als jemand, der langfristig und strategisch denken kann. "Ich war immer gegen Gewalt. Man muss politisch arbeiten." Irgendwann trifft sich die rechte Szene Wittenbergs und kürt ihn per Abstimmung zum "Kameradschaftsführer". Die Rechtsextremisten überfallen mehrere Male das Jugendzentrum "Schweizergarten", halten paramilitärische Wehrsportübungen ab und terrorisieren die Region. Einem der Neonazis explodiert beim Bombenbau ein Sprengsatz unter den Händen.

Danny Thüring hält sich im Hintergrund. Im rechtsextremistischen Mailbox-Verbund "Thule-Netz" hetzt er gegen seine politischen Gegner. Er ist Science-Fiction-Fan und benutzt das Pseudonym "Starbuck" aus dem Streifen "Kampfstern Galactica". Nazi-Anführer aus Berlin werden auf ihn aufmerksam. Frank Schwerdt und Christian Wendt, einschlägig bekannte braune Kader der Hauptstadt, reisen nach Wittenberg und versorgen die dortige Gruppe mit Geld und Propagandamaterial. "Für die war klar: Wir müssen irgendwann zuschlagen, mit Gewalt. Die stellen sich das wie in der Reichskristallnacht vor." Die Gewaltschwelle sei bewusst heruntergesetzt worden, sagt Thüring. "Die Anführer nehmen den Leuten das Denken ab."

1995 verurteilt ein Gericht Thüring zu zwei Jahren auf Bewährung wegen "Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates." Er hatte in Gegenwart eines Polizisten den "Hitler-Gruß" gezeigt. Die Bewährung wird später wegen Drogendelikten aufgehoben. Das Studium an der Fachhochschule Senftenberg hat Thüring abgebrochen. Er arbeitet im Archiv des Umweltamtes Wittenberg. Dort weiß offenbar niemand, wer der unauffällige Mitarbeiter ist. Auch als Thüring mehrfach während der Arbeitszeit zur Zeugenaussage nach Berlin muss, wegen des Doppelmordes, über den in allen Zeitungen berichtet wird, spricht ihn niemand an.

Der Mord an den eigenen "Kameraden" hat so gut wie keine Wirkung auf die rechte Szene in Wittenberg. "Das hatten die schnell vergessen. An mir ist das aber nicht spurlos vorübergegangen." Die Nazi-Drahtzieher Schwerdt und Wendt reisen wichtig und mit großem Gefolge aus Berlin zur Beerdigung von Schmitke und Danneil an. Nur das Umfeld bröckelt. Viele der Ultrarechten gleiten ins Rotlichtmilieu ab. Der Drogenhandel in Wittenberg liegt bald in den Händen der Neonazis. Thüring probiert alle bunten Pillen, derer er habhaft werden kann, vor allem Ecstasy. Politik spielt in seinem Leben eine immer geringere Rolle.

Langsam tastet sich Thüring an den Gedanken heran auszusteigen. Er sucht einen Gesprächspartner und wendet sich an seinen Erzfeind: Matthias Gärtner, Mitglied des Landtags und innenpolitischer Sprecher der PDS, der nur wenige Jahre älter als Danny Thüring ist. Gärtner lehnt ab. "Das ist nicht meine Aufgabe." Ein Gespräch mit einem Neonazi sei zu "gewagt".

Für Danny Thüring häufen sich die Probleme: Verfahren wegen Drogenbesitzes, weder Studium noch Job, kaum ernst zu nehmende Freunde. Thüring ahnt, dass er aus Wittenberg fliehen muss, um die Chance zu wahren, sein Leben zu ändern. Er surft im Internet, bewirbt sich per E-Mail bei einer Multimedia-Firma in Frankfurt am Main. Als Referenz gibt er die Website einer kleinen Diskothek an, die er gestaltet hat. Die Firma ruft zurück. Das Geld für die Zugfahrt nach Hessen holt sich Thüring vom Arbeitsamt. Nach zwei Wochen Probezeit wird er übernommen. Niemand kennt seine Biografie. Nach einigen Monaten fasst er allen Mut zusammen und beichtet alles einer Projektleiterin, der er vertraut. Die fällt aus allen Wolken. "Wenn sie das vorher gewusst hätte, hätte sie überhaupt nichts mit mir zu tun haben wollen." Auch heute wissen nur wenige Menschen, in welchen Kreisen er noch vor drei Jahren verkehrte.

Was hat seinem Leben eine andere Richtung gegeben? "Das Internet hat mich stark beeinflusst." Freie Rede, freier Informationsaustausch, das sind heute seine Ideale. Er fühle sich beinahe unwohl, wenn er jetzt im Auftrag seiner Kunden das Verhalten der Surfer im Netz ausspioniere. Thürings neuer politischer Traum ist es, "eine Art Basisdemokratie" im Internet zu schaffen. Heute hat er sich von seinen ehemaligen Gesinnungsgenossen distanziert. Auch wenn er die Vergangenheit nicht wirklich los wird, weiß er: "Ich brauche die Bestätigung von der Gruppe nicht mehr."

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