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Dieser Text
erschien am 14.03.99
im Berliner
Tagesspiegel
.ENFOPOL 98
Die Pläne der Europäischen Union, das Internet und die gesamte Telekommunikation zu überwachen, scheinen real zu werden. Die Innen- und Justizminister der EU haben die Abhörwünsche der nationalen Polizeibehörden offenbar akzeptiert. Am 12. März tagen die europäischen Innen- und Justizminister in Brüssel, um den Ratsentwurf "Enfopol 98" juristisch abzusegnen. Enfopol stammt aus der Feder einer europaweiten "Arbeitsgruppe für polizeiliche Zusammenarbeit", die die nationalen rechtlichen Bestimmungen für den Lauschangriff den neuen Technologien anpassen will. Nicht nur der Fernmeldeverkehr, Mobilfunk, Fax, interaktives Kabel-TV, sondern auch das Internet und die Satelliten-Kommunikation sollen überwacht werden.

Bis zum März wird der letzte strittige Punkt geklärt: die Polizeiexperten fordern, daß die europäischen Mitgliedsstaaten per Fernzugriff und ohne richterlichen Beschluß die italienische Bodenstation des neuen Iridium-Netzes belauschen können. Das System erlaubt Handy-Telefonate von jedem Ort der Welt aus. Würden die Empfehlungen des Enfopol-Papiers juristisch umgesetzt, könnte auch die französische Polizei ohne Beschluß eines deutschen Gerichts die Telekommunkation in Deutschland kontrollieren.

Das Internet-Magazin Telepolis veröffentlichte schon im Dezember die geheime "Tischvorlage" der EU: die nationalen Gesetzgeber wurden aufgefordert, überwachungsschnittstellen zu schaffen, die es den Behörden ermöglichen, den gesamten Datenverkehr in Echtzeit zu kontrollieren. Auf die Firmen kämen Kosten in Millionenhöhe zu, insbesondere auf die Betreiber von Mobilfunknetzen, deren Technik auf einen Lauschangrif in Echtzeit nicht ausgerichtet ist, und auf Internet-Provider.

Datenschützer und Bürgerrechtsgruppen stimmt das heimliche Vorgehen der EU-Behörden miß:trauisch. Die Enfopol-Papiere wurden bisher nicht veröffentlicht. Die Ratspapiere und Arbeitsunterlagen bekam zwar das amerikanische FBI vorgelegt, die Abgeordneten des europäischen Parlaments erfuhren aber erst aus der Presse davon. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss behauptete schon im Dezember, daß die Pläne der EU "alle deutschen Bestimmungen zum Lauschangriff" überträfen. Er nannte die Enfopol-Papiere "inakzeptabel, gefährlich und teuer." Die Kosten würden "alle jetzigen Militärausgaben der EU übertreffen." Auch der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele kritisiert das Vorhaben der Polizeiexperten. Es "stellt nicht nur Datensicherheit, sondern auch Rechtsstaatlichkeit in Frage." Die Sicherheit vor Kriminalität werde nicht erreicht. Die vorgesehenen Hintertüren in den Kommunikationnetzen könnten auch von Dritten zur Industriespionage genutzt werden.

Experten kritisieren, daß der Versuch, das Internet abzuhören, technisch unmöglich ist. Keith Mitchell, Präsident des größten britischen Internet-Providers London Internet Exchange, hält den Versuch der EU, das Internet abzuhören, für "nutzlos" und schädlich für die wirtschaftliche Entwicklung: Die Risiken des Mißbrauchs eines gigantischen überwachungsnetzes, das nötig wäre, um die Wünsche der europäischen Polizeibehörden technisch umzusetzen, seien die astronomischen Kosten nicht wert. Die Sicht des Enfopol-Papiers sei sowohl technisch und ökonomisch veraltet. Die moderne Telekommunikation bestehe aus deregulierten, dezentralisierten und dynamischen Netzen, eine überwachung sei nur punktuell möglich. Jeder Kriminelle könne mit einfachen Methoden der Kontrolle entgehen. Er brauche nur die Kommunikation zu verschlüsseln. Tim Pearsons von der englischen Provider-Vereinigung ISPA warnt, daß die Pläne der EU die Privatspähre der Kunden gefährdeten. Die Polizei und die Sicherheiteskräfte, seien, "wie andere Neulinge im Internet", von der Komplexität des Netzes eingeschüchtert. Da es kaum vorstellbar sei, wie man Gigabyte von E-Mails kontrollieren könne, fiele der Polizei immer nur die Möglichkeit der totalen überwachung ein.

Die Sicht der EU-Minister entspricht auch der des US-Kryptobotschafters David Aarons. Aarons hatte die EU-Vertreter gedrängt, den amerikanischen Plänen zur Kontrolle kommerzieller Verschlüsselungsverfahren zuzustimmen. Die deutsche Bundesregierung akzeptierte im Dezember das unstrittenen Wassenaar-Abkommen, das eine Obergrenze für frei verfügbare Schlüssel festlegt, obwohl das der Empfehlung des Bundestags widersprach. Der Gesandte der US-Regierung gab unumwunden zu, daß er auf eine Lösung der Kryptofrage in seinem Sinn hofft: die Geheimdienste der USA möchten alle kodierten Telefongespräche entschlüsseln können. Auch die deutsche Datenschützer- und Bürgerrechtlervereinigung FIfF hält die EU-Pläne für ein vorbereiteten Plan. Ute Bernhardt und Ingo Ruhmann vom Vorstand des FIfF glauben, daß die Europäer die restriktive amerkanische Krypto-Politik akzeptieren würden als Gegenleistung dafür, daß das US-amerikanische Iridium-System in Europa installiert wird.

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