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Dieser Artikel
erschien stark gekürzt in:
Der Standard
- Österreich,
am 23.06.99
.Der Sozialismus kommt im rechten Gewand daher
Ammo Darko ist Schriftstellerin, gewann jüngst den „Ghana Book Award“, hat eine dunkle Hautfarbe und machte einen Fehler: sie fuhr im April wegen einer Lesereise auf die idyllische Ostseeinsel Rügen im ostdeutschen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Dort traf sie auf ganz normale Jugendliche. Die warfen mit Flaschen auf sie und grölten rassistische Parolen. Nur mit Mühe rettete sich Darko in ein Taxi. Ihre literarische Tournee brach sie ab.

Auch der Eisenflechter Guilano da Luca, gebürtig aus einem Dorf bei Neapel, machte einen Fehler: Er liess sich für ein Bauprojekt in’s brandenburgische Trebbin am Rande Berlins werben. Da Luca ging nach Feierabend die Dorfstrasse entlang. Ein ortsansässiger Jugendlicher fuhr mit quietschenden Reifen auf ihn zu, stiegt aus, fragte, ob da Luca Italiener sei, und schlug den Arbeiter mit einer Baseballkeule so auf den Kopf, dass der wie tot zu Boden fiel. Da Luca ist heute Invalide und kann nicht mehr ohne fremde Hilfe gehen.

Die ghanaische Schriftstellerin und der italienische Bauarbeiter haben etwas gemeinsam: sie sind privilegiert. Die Medien berichteten über ihren Fall, für den Italiener wurden auf Initiative des Berliner "Tagesspiegel" Spenden gesammelt. Das ist die Ausnahme. Wenn man das Kleingedruckte in vielen ostdeutschen Zeitungen liest, fällt auf, das rassistische Pöbeleien und Gewalttaten gegen „Fremde“ in den neuen deutschen Bundesländern an der Tagesordnung sind. Am 12. Februar hetzten Jugendliche in Guben, einer brandenburgischen Grenzstadt zu Polen, den algerische Einwanderer Omar Ben Noui zu Tode. 10. März: in Rüdersdorf (Brandenburg) schlagen drei Deutsche einen Vietnamesen krankenhausreif, „weil er Ausländer ist.“ 25. März: Drei Überfälle innerhalb von zwei Tagen auf einen Libanesen, einen Inder, einen Algerier. 11. Mai: Berliner Schüler aus dem Stadtteil Kreuzberg, darunter einige türkischer Herkunft, werde in einem brandenburgischen Schullandheim als "Kanaken"“ beschimpft und geschlagen. 5. Mai: Eine Bande von Skinheads verprügelt im deutsch-tschechischen Grenzort Hrensko mehrere Vietnamesen. Die Opfer werden in ein Krankenhaus eingeliefert. 16. Mai: Eine Gruppe Neonazis überfällt einen Jugendclub im thüringischen Altenburg und verletzt mehrere Besucher schwer.

Deutschland nach der Wiedervereinigung - das sind eine schlechte und eine gute Nachricht. Die schlechte: Fünfzig Jahre nach Kriegsende hat es wieder Pogrome gegeben - genau dort, wo die Wurzeln des Faschismus angeblich „ausgerottet“ worden waren. In Rostock und Hoyerwerda klatschte das Publikum Beifall, als der Mob Häuser in Brand steckte und Einwanderer durch die Strassen jagte. Politiker und Experten berichten von einer "kulturellen Hegemonie" der rechten Jugendszene. Wer „ausländisch“ aussieht, muss in den neuen Bundesländern hinnehmen, dass seine Lebensqualität gemindert wird. Rassistische Vorurteile gehören zum Alltag.

Die gute Nachricht: In Deutschland, auch in der ehemaligen DDR, gibt es weder so viele rechtsextreme Wählerstimmen wie in Frankreich noch eine gesellschaftsfähige rechtspopulistische Partei wie in Österreich. Rassistische und antisemitische Einstellungen sind ähnlich weit - oder wenig - verbreitet wie in anderen Ländern. Meinungsforscher haben schon 1981 in der berühmten „Sinus“-Studie 13 Prozent der damaligen Westdeutschen eine rechtsextreme Einstellung bescheinigt. Der ultrarechte Medienzar Gerhard Frey und seine Deutsche Volksunion (DVU) schöpfte bei seinem überraschenden Wahlerfolg 1998 in Sachsen-Anhalt mit 12,5 Prozent das Milieu fast ganz aus.

Was ist also das Besondere an den Deutschen? Von den westlichen Ländern Europas unterscheidet sie, dass der öffentliche Diskurs das Problem nicht beim Namen nennt oder nicht nennen will. Einwanderer bleiben „Ausländer“. Zu denen ist man entweder nett oder nicht nett. In Brandenburg machen sich Politiker für Projekte stark, Jugendliche über jüdisches Kulturleben zu informieren - als Teil einer Kampagne gegen „Ausländerfeindlichkeit“. Als seien deutsche Juden Ausländer! Eingewanderte Türken der dritten Generation gelten immer noch nicht als Deutsche, weil die Behörden vor den deutschen Pass einen jahrelangen und abschreckenden Parforceritt durch die Akten gesetzt haben. Gutmeinende „Ausländerfreunde“ fordern Integration, ohne den Betreffenden die politischen Bürgerrechte zubilligen zu wollen. Die Basis für rassistische Vorurteile - der mindere Sonderstatus für Einwanderer - bleibt damit unangetastet.

Die neue Bundesregierung plante, das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht zu ändern, das aus der Zeit des ersten Weltkrieges stammt: Es proklamiert die „Abstammung“, das „ius sanguinis“, als Bedingung für die deutsche Staatsbürgerschaft. Die nur kosmetischen Veränderungen lösten bei der christdemokratischen Oppposition einen Sturm der Entrüstung aus. DieUnterschriftskampagne der CDU gegen die erleichterte Einbürgerung war nicht frei von rassistischen Tönen und rief bei der Ultrarechten und der Neonazi-Szene lebhaften Beifall hervor.

Von den Ländern Osteuropas unterscheidet die Deutschen, dass die heranwachsende Generation in Ostdeutschland den Sozialismus immer noch ernst nimmt. „Sozialismus ist machbar“, plakatiert die die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD); die älteste neonazistische Organisation, und sie verkündet diese Parole nur in den neuen Bundesländern. Die NPD zählt in Sachsen mehr Mitglieder als einige der etablierten demokratischen Parteien. Relevante Teile der ostdeutschen Kleinstadtjugend orientiert sich an einer Fiktion - einer Mischung aus den angeblichen Vorteilen des realen Sozialismus und rassistischer Volksgemeinschaft. Gemeinnutz vor Eigennutz - das uralte Nazi-Motto ist im rechten Milieu wiederauferstanden. Eine deutsche Frau, die sich mit dunkelhäutigen Männer einlässt, begeht „Rassenschande“ Farbige sind per defintionem „undeutsch“. Rassismus und Antisemitismus äussern sich nicht als Wahlverhalten oder in parteipolitischer Aktivität, sind aber als Option abrufbar. Die sehr heterogene, zum Teil illegale rechte Musikszene plaziert die Werte des rechten Lifestyles schon bei Kindern und Heranwachsenden.

Die säkulare und postsozialistische Generation Polens orientiert sich an England und Amerika, weniger an den Deutschen, die in ihren Augen zu sehr mit sich selbst zu tun haben. „Deutschland ist unübersehbar da, liegt aber abseits“, schreibt Adams Krzeminski, Korrespondent der „Polityka“. Die Ungarn und Tschechen arrangieren sich mit den Vor- und Nachteilen ungezügelte kapitalistischer Wirtschaft. Sie akzeptieren die Demokratie als der einzigen der möglichen Staatsformen, die die Balance zwischen der Freiheit des Individuums und dem Gemeinwohl immer wieder neu aushandelt. Im Osten Deutschlands hingegen kommt die Kapitalismuskritik im rechten Gewande einher. Zwangserziehung zum Guten ist immer noch populärer als Wertepluralismus. Die Heranwachsenden identifizieren sich weder mit dem untergegangenen Sozialismus noch mit der in der Alltagskultur nur schwach verankerten demokratischen Werten. Die rechts Subkultur schöpft das rebellische Potential der Jugend ab und polt es in ihrem Sinn gegen die"„westliche Dekadenz" um.

Ziel der Ultrarechten ist es, "befreite Zonen" zu schaffen, in denen sie die Werte des Alltagsmilieus vorgeben. Damit sind keine geographisch fest umrissenen Gebiete gemeint. Das Konzept der Nazis sieht vor, dass ihre Kader in Jugendclubs, in Freizeiteinrichtungen, in Schulen vorgeben, welche Werte „normal“ sind, an die man sich anzupassen hat, um nicht unagenehm aufzufallen. Plumpe NSDAP-Nostalgie ist verpönt, der letzte Schrei der Propaganda im Osten heisst: "Hitler hat die wahren Ideale des Nationalsozialismus an die Grossbourgeoisie verraten."

Nationaler Sozialismus - was sich in Ostdeutschland im Bonsai-Format als subkulturelles Milieu entwickelt, hat in keinem Land des ehemaligen Ostblocks Konjunktur. Kein Wunder, dass Vertreter der Nazi-Partei NPD sich bei einem offiziellen Besuch in Nordkorea umsahen, um vieleicht dort Gesinnungsgenossen zu finden. Der letzte europäische Hort des nationalen Sozialismus, Albanien, hat sich freiwillig in die Hände der USA begeben. Die Werte Amerikas, des Einwanderungslandes per excellance, die materialistische, zynische, ober auch tolerante und heterogene Moral des Schmelztiegels USA war für die deutsche Rechte schon immer eine Horrorvorstellung. Jetzt treffen sich unfreiwillig die Restbestände der ultralinken Szene Deutschlands mit ihren Gegnern von rechts: Beide haben den Anti-Amerikanismus aus der Zeit des Kalten Krieges im Programm beibehalten. Die einen kämpfen gegen den "Zionismus" wie weiland die offizielle DDR-Propaganda, die anderen wittern überall eine jüdisch-freimaurerische Weltverschwörung.

Nur hier gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den deutschen Neonazis und der Ultrarechten der osteuropäischen Staaten. Der Antisemitismus und die Leugnung des Holocaust durch die Revisionisten sind die weltanschauliche Klammer, die die Szene trotz aller Streitigkeiten nicht nur europaweit, sondern weltweit zusammenhält. Nur sind die polnischen Antisemiten wie etwa Kazimierz Switon fanatische Christen. Switon, der im Mai verhaftet wurde, versucht seit Jahren, in Auschwitz grosse Holzkreuze aufzustellen. Mit christlichen Werten hat die ostdeutsche Rechte gebrochen. Das ist das mehr unfreiwillige Erbe der säkularen Erziehung der DDR. Wer kein Christ war, wird sich mit neuheidnischen Gedankengut beschäftigen, wie grosse Teile der Neonazi-Szene tun, auch in Anlehnung an die Gründer der NSDAP in den zwanziger Jahren in Deutschland. Oder man orientiert sich an den pseudoreligioösen und totalitären Ritualen und Ikonen des Nationalsozialismus. Oder, und das ist ein Treppenwitz der Geschichte, man propagiert die Wertde der letzen säkularen Religion dieses Jahrtausends, die des Kommunismus.

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