Die Botschaft der Deutschen Volksunion in Sachsen-Anhalt war
einfach und eingängig: Arbeit zuerst für Deutsche! Es darf bezweifelt werden,
daß ihre Wähler überwiegend Protestwähler sind, auch wenn die Sprecher
aller demokratischen Parteien reflexartig das Gegenteil behaupten. Wenn
ein Engländer arbeitslos wird, geht er angeln, hat ein Deutscher keine
Arbeit, wird er Rechtsextremist?
Der Wunsch, daß die DVU-Wähler nur "protestiert" hätten, wird durch
Fakten nicht untermauert. "Protest" hieße: Der Wähler wisse weder,
was er wähle, noch sei seine Entscheidung langfristig ernst zu nehmen.
Beides trifft nicht zu: Seit Monaten sagen Umfrageergebnisse in allen neuen
Bundesländern, daß - vor allem bei Jugendlichen - rassistische und
antisemitische Einstellungen signifikant häufiger zu beobachten sind als
im Westen. Die Hälfte aller Ostdeutschen glaubt, daß Einwanderer ihnen
die Arbeitsplätze wegnähmen.
"Arbeit nur für Deutsche"
Wer sein Kreuzchen bei der DVU machte, entschied sich bewußt
für eine offen rassistische Losung. Der kleine Unterschied zum Westen:
"Arbeit nur für Deutsche" gilt im Osten nicht als rechtsextreme Stammtisch-Parole,
sondern ist gesellschaftlich hoffähig, weil mehr oder minder Konsens.
Die DVU erntete, was andere gesät haben. Wenn die NPD angetreten wäre
die in Sachsen in einigen Regionen mehr Mitglieder hat als die demokratischen
Parteien , hätte sie ein vergleichbares Ergebnis eingeheimst. Die DVU
kann in Sachsen-Anhalt nur auf weniger als fünfzig aktive Mitglieder zählen
von insgesamt rund 20000. Dennoch: Sie wurde wegen ihrer Parolen
gewählt, nicht wegen ihres Parteichefs oder ihrer völlig unbekannten Kandidaten.
Gerhard Frey, geboren im Jahr der Machtergreifung Hitlers, ist seit über
vierzig Jahren umtriebiger Rechtsextremist. Der gelernte Jurist startete
seine Karriere als Mitarbeiter der "Deutschen Soldaten-Zeitung".
Als das Blatt kurz vor dem Aus stand, kaufte er es auf und nannte es "National-Zeitung".
Die ist seit Ende der fünfziger Jahre Leib-und-Magen-Blatt eingefleischter
Antisemiten und alter Kameraden. Frey rühmte sich enger und freundschaftlicher
Kontakte zu Reinhard Gehlen, dem ersten Chef des Bundesnachrichtendienstes.
1982 verlieh Frey dem Fliegeroberst und umtriebigen Altnazi Hans-Ulrich
Rudel einen "Europäischen Friedenspreis" und stiftete einen "Ehrenbund
Rudel".
Mit der schärfsten Konkurrenz im rechtsextremistischen Lager, der NPD,
verbindet ihn eine Art Haßliebe. In den sechziger Jahren unterstützte Frey
die NPD bei Landtagswahlen, gründete aber schon 1971 vorsorglich die Deutsche
Volksunion als Sammlungsbewegung diverser rechtsextremistischer Kleingruppen.
Wenig später versuchte er, in den NPD-Bundesvorstand aufzurücken. Als das
nicht gelang, trat er aus und widmete sich seiner eigenen Partei. 1987
kam es zur erneuten Zusammenarbeit mit dem damaligen NPD-Vorsitzenden Martin
Mußgnug. Frey gründete die Wahlpartei "Deutsche Volksunion - Liste
D". Der Zusatz "Liste D" fiel später weg. 1988 zahlte Frey der
NPD eine Million Mark, um sie zu bewegen, auf die Teilnahme an der Europawahl
zu verzichten.
Bücher und Videos
Die DVU ist nur ein Teil des diversifizierten weltanschaulichen
Angebots und wird flankiert von einem verschachtelten publizistischen Imperium,
unter anderem dem Medienkonzern "Druckschriften- und Zeitungsverlag
GmbH". Geschätzte Gesamtauflage seines Schrifttums: knapp 200000 Exemplare.
Frey bedient seine heterogene Klientel mit einem jeweils passend zugeschnittenen
Angebot: Bücher und Videos über den Zweiten Weltkrieg, NS-Devotionalien,
Fahnen und Diskussionszirkel jeder Art: von der "Gemeinschaft zum Schutz
der Frontsoldaten" über die "Volksbewegung für Generalamnestie"
bis zur "Initiative zur Ausländerbegrenzung". Frey rühmt sich seiner
Männerfreundschaft zum russischen Rechtsextremisten Wladimir Schirinowskij
den er als Gastredner für die alljährliche Großveranstaltung der DVU
in Passau gewann, dessen Schriften er verlegte und mit dem er, zunächst
nur auf Papier, Europa neu aufteilte.
Unstrittig ist die DVU eine antidemokratische Partei, die Rassismus predigt
und deren zentrales Anliegen antisemitische Verschwörungstheorien sind.
1992 fand sich in der "National-Zeitung" ein Foto orthodoxer Juden
mit der Überschrift: "Wer hat in Deutschland das Sagen?" Die DVU
fordert, alle Nazi-Verbrecher zu rehabilitieren, sie fordert den "Anschluß"
von Österreich und Südtirol, sie fordert, die Gewerkschaften zu entmachten.
Der Verfassungsschutz attestierte Frey die "systematische Verharmlosung
der menschenverachtenden Politik des NS-Unrechtsstaates".
Freys Methode, auf Stimmenfang zu gehen, ist primitiv, aber wirkungsvoll:
Klotzen statt Kleckern. Schon 1989 ließ er 28 Millionen Postwurfsendungen
mit rassistischem und fremdenfeindlichem Inhalt an alle Haushalte verteilen.
Moderne Marketing-Methoden hat er anderen rechtsextremistischen Gruppen
voraus. Dort, wo die DVU in die Landtage einzog - 1991 in Bremen und
1992 in Schleswig-Holstein , blamierte sie sich jedoch bis auf die
Knochen. Die rechtsextremen Abgeordneten konnten kaum einen Satz von sich
geben, ohne die Erlaubnis aus der Münchener Zentrale einzuholen, zerstritten
sich, eine geregelte Fraktionsarbeit fand nicht statt, finanzielle Unregelmäßigkeiten
waren an der Tagesordnung. Das hat die Wähler aber weder in Bremen noch
in Schleswig-Holstein, noch in Sachsen-Anhalt interessiert.
Die DVU hat das Potential des rechtsextremen Milieus im Osten voll ausschöpfen
können. Rechte Gruppen ohne feste Bindung an eine Partei agieren in manchen
Regionen, vor allem in Kleinstädten und Neubausiedlungen, fast ungehindert,
ohne eine linke Konkurrenz. Sie kontrollieren die Sozialisation der Jugend,
mangels Angebot von anderer Seite, bestimmten den Musikgeschmack, die Ikonen
der Subkulturen. Die wenigen organisierten Neonazis können das rebellische
Potential der Jugend organisieren.
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm: Auch die Jungen im Osten wollen
den Sozialismus, wie manche der PDS-wählenden Eltern - aber einen
"nationalen Sozialismus". Die NPD agiert mit Parolen wie "Sozialismus
ist machbar". Davon hat Frey nur abgeschrieben. Aber seine Person und
Präsenz vor Ort würde die Klientel abschrecken. Der Verleger und Multimillionär
Gerhard Frey verkörpert kaum glaubwürdig den Anwalt der Arbeitslosen und
Benachteiligten: Er ist steinreicher Hausbesitzer in München und Berlin.
Seine Gegner nennen ihn schlicht "Miethai".
Symbolträchtige Märsche
Der Sog des Erfolges wird die noch real existierenden rechten
Kleinstparteien im Osten zugunsten der DVU in die Defensive drängen. Im
thüringischen Arnstadt trat schon vor einiger Zeit ein früherer DSU-Abgeordneter
zu Freys Wahlverein über. In Sachsen hatte die Partei 1992 fast 1000 Mitglieder,
die weniger durch Parteiarbeit vor Ort, sondern vor allem durch Zeitungen
und sonstiges Propagandamaterial geworben worden waren.
Diese, zumeist jüngere Neonazis und Skinheads, liefen nun freilich mehrheitlich
zur NPD über. Dieses Potential könnte die DVU reaktivieren, wenn die NPD
es im Osten Deutschlands nicht schafft, auf kommunaler Ebene einen Achtungserfolg
zu erringen oder mit symbolträchtigen Aufmärschen - wie dem am 1. Mai
in Leipzig - die Mitläufer zu motivieren.
Die gute Nachricht: Die Wahl in Sachsen-Anhalt zeigt, daß sich die politische
Situation "normalisiert" und an den Westen angeglichen hat. Das Wahlergebnis,
knapp 13 Prozent für eine offen rassistische und antisemitische Partei,
entspricht exakt den Aussagen der berühmten Sinus-Studie aus dem Jahr 1981.
Die bescheinigte damals 13 Prozent der Westdeutschen ein rechtsextremistisches
Weltbild. Die Zahl der Rechtsextremisten hat nicht zugenommen, sie ist
in Gesamtdeutschland gleichgeblieben. Nur: Die trauen sich, offen zu agieren
und zu handeln - jetzt auch in den neuen Bundesländern , in dem
Gefühl, ihre Einstellung sei gesellschaftlich hoffähig. Das ist die eigentliche
Ursache des Wahlerfolgs der DVU.
Die schlechte Nachricht: Auch die NSDAP war eine Protestpartei.