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Dieser Artikel
erschien in der
Jungle World
am 23.09.98
.Moralische Illusionen
  - Wenn Clinton aus dem Amt gejagt wird, kommt alles noch schlimmer.

Die Welt braucht Bill Clinton. Ob er Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika bleibt, ist für Deutsche zwar nur unwesentlich wichtiger als die Frage, ob zwei oder drei Säcke Reis in China umfallen. Doch würde er aus dem Amt gejagt, käme alles noch schlimmer. Es bekämen wieder diejenigen Oberwasser, die das Private politisch machen wollen. Und das sind hierzulande die schmallippigen FreundInnen der Erziehungsdiktatur: Ein guter Mann und Präsident ist seiner Frau treu. Er hört zu Hause gute Musik und streichelt regelmäßig die Kinder und den Schäferhund. Wie Adolf Eichmann. Ein guter Präsident lügt nicht und ist mit einer emanzipierten Frau verheiratet. Und nur gute, brave, wahrhaftige und ehrliche Menschen sollen Politik für ebensolche Menschen machen dürfen. Und alle hoffen, daß das Gute und das Schöne siegen. 

Wer so denkt, versteht nichts von Politik .Das ist gefährlich. Diese moralische Attitüde nährt Illusionenüber die Konsistenz der Macht im Spätkapitalismus. Wer Clinton abgesetzt sehen möchte, glaubt daran, daß Präsidenten richtige Politik machen können. Das ist naiv und stimmt wahrscheinlich nur noch für Saddam Hussein und Taufa'alau Tupou IV., den König vonTonga. 

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind, trotz der ungeheuren Schere zwischen arm und reich, egalitärer als die Staaten Europas: Nur hier gibt es die Tradition des Tyrannenmords, die Tradition der Steuerverweigerung und ein allgemeines Mißtrauen gegen "den Staat", das jedem Anarchisten die Freudentränen in die Augen treiben würde. Die Amerikaner sind weitgehend immun gegen Versuche der Obrigkeit, sich in ihr politische und religiöses Privatleben einzumischen. In Deutschland hingegen wagen es linke Parteien noch nicht einmal, sich gegen den Einzug der Kirchensteuer durch den Staat auszusprechen. Und Zensur, wenn es die Bösen trifft, ist Konsens.

Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen Ronald Reagan und Bill Clinton. Sie sprechen eine andere Klientel an. Der Präsident macht keine Politik, er nützt jeweils unterschiedlichen Interessen. Clinton ist ähnlich bigott wie seine "konservativen" politischen Gegner. Er bediente aber die Sehnsüchte der liberalen weißen Mittelschichten des Osten, der Frauen, der Minderheiten: Sie alle hofften, der Präsident würde Zeichen setzen gegen die reaktionäre Moral Majority. Der Präsident des mächtigsten Landes der Erde hat eine ähnliche Aufgabe wie ein Häuptling der Irokesen: DerAnführer befiehlt, was alle sowieso tun würden. Wenn den Chef das politische Gespür verläßt, Vollstrecker des Allgemeinwillens zu sein, setzt man ihn ab. Der Herrscher darf nur soweit gehen, wie ihn seine Wähler lassen. Damit tun sich deutsche Linke schwer, die noch daran gewöhnt sind, daß die Macht von oben kommt und nicht von unten kontrolliert und begrenzt wird. 

Deshalb mögen die Amerikaner ihren Bill Clinton, auch wenn der sich von den falschen Frauen sich einen blasen läßt und, was viel verwerflicher ist, sich dabei erwischen läßt. Er hat zwei Fehler begangen, die beinahe unverzeihlich sind. Machiavelli empfiehlt, alle Schandtaten gleich am ersten Tag nach Regierungsantritt zu begehen. Clinton hat seine Wähler belogen, weil er sie in dem irrigen Glauben gelassen hat, ein guter Herrscher müsse auch menschlich gutsein. Außerdem ist Clinton halbherzig: Wenn schon der Präsident nicht nur der mächtigste Mann ist und symbolisch das tut, was alle tun, dann sollte er auch den obersten Besamer mimen wie John F. Kennedy. Der kriegte immerhin Marilyn Monroe herum und gab sich nicht mit kleinen Praktikantinnen ab. Alles andere, die Ehe, die Moral, der Glaube, ein Präsident sei für die Armen, Entrechteten da oder gar ein Förderer des Feminismus in Gestalt der Gattin, ist grober Unfug. 

Der Moral-Ayatollah Ken Starr hat ausgenutzt, daß die Amerikaner voyeuristisch immer wieder bestätigt haben wollen, daß das Volk mächtig genug ist, dem Herrscher an dieWäsche zu gehen. Aber ernsthaft wollen sie das gar nicht. In Deutschland ist es sehr viel schwieriger, jemanden abzusetzen, wenn der ein Schwein ist. Die Deutschen, und das ist die gute Nachricht, sind viel zu abgebrüht, als daß es sie ernsthaft interessieren könnte, mit wem der Kanzler ins Bett geht. Die schlechte Nachricht: Sie meinen trotzdem immer noch, ein Präsident dürfe das Volk nicht nach Kräften hinter's Licht führen, lügen und betrügen und das Wahlprogramm seiner Partei ein Fetzen Papier sein lassen. Schon Konrad Adenauer sagte ganz ehrlich zu Journalisten: "Ich gebe Ihnen meine Meinung zu fünfzig Prozent gelogen, dann verdienen Sie noch etwas am Dementi." 

Es geht ausschließlich darum, ob die Demokratie stark genug ist, diejenigen, die an die Spitze des Gemeinwesens gewählt worden sind, zu zwingen, das zu tun, was ihrer jeweiligen Klientel nützt. Und da ist es ganz gleich, ob der Kanzler oder Präsident ein Dummkopf und grottenschlechter Schauspieler ist mit einem etwas intelligenteren Beraterstab oder ein trickreicher und bauernschlauer Bill Clinton, der eine kluge Frau hat, die besser als eine ganze Kompanie von Staatssekretären agiert. Und warum fragt niemand, ob Hillary nicht schon seit langem einen zwar nicht sehr hellen, dafür aber braungebrannten Liebhaber mit Waschbrettbauch hat wie Madonna? Vielleicht ist Hillary, was man ihr zutrauen würde, nur nicht so dumm, sich erwischen zu lassen? 

Bill Clinton muß Präsident bleiben. Er wird immer daran erinnern, was sich hinter der Fassade der Macht verbirgt. Die Symbole der Politik, der westlichen Werte, die die Amerikaner allen aufzwingen wollten und die hiesige Konservative nachbeten, sind lächerlich. Und die deutsche Linke hat nicht erst seit Ernst Thälmann das Problem, daß sie nur die bösen Führer gegen gute Führer austauschen will (Solidarität mit Abimael Guzman!). Damit sollte es vorbei sein. Clinton kann als lebendes Mahnmal dafür dienen, daß der Kaiser keine neuen Kleider braucht, sondern nackt ist. Das ist gut so. 

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