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Dieser Artikel
erschien in der
Jungle World
am 16.02.00
. Einer für alle
  - Haider ist gut für die politische Kultur Europas. Er zeigt, dass rassistische Stereotype und bodenständiger Antisemitismus Teil der Alltagskultur sind.

Gemach. Ist Haider überhaupt wert, dass man sich hierzulande aufregt? Die Deutschen gehen angesichts eines regierungsfähigen Salonfaschisten im Nachbarland ihrer Lieblingsbeschäftigung nach: Sie vollführen rituelle Handlungen und legen Wert auf Symbolik. Jeder weiß vorab, was die anderen zum Thema sagen werden. Wut und Trauer. Schockierend. Tabugrenze überschritten. Den Anfängen wehren. Sogar Magie soll dagegen helfen. Haider entzaubern! - als sei der eine Art Prinz, der wieder in einen Frosch verwandelt werden müsse. Das alles ist gut gemeint, nützt ausschließlich der Gruppendynamik und hat nur kurzfristigen Unterhaltungswert. Und verlogen ist es auch.

Gegen moralische Symbolik ist nichts zu sagen. Von den Westgermanen stammt der Begriff »ächten«. Die Acht war die gebotene Verfolgung eines Menschen, den die Gemeinschaft ausschließen wollte. Nazis und verwandte Spezies ächten heißt: nicht die Obrigkeit auffordern, gegen sie vorzugehen, sondern Zivilcourage von unten. Der gemeine Mann und die gemeine Frau sind gefragt, sich öffentlich zu artikulieren. Aber wie? Rituelle Ausgrenzung anderer oder seiner selbst wirkt nur auf die eigenen, umso fester geschlossenen Reihen. Künstler, die derjenigen Klientel, die Kunst ohnehin nie verstand, an den Kopf werfen, jetzt würde man es - das Publikum - boykottieren und nicht mehr in Österreich beglücken, monologisieren.

Die, die angesprochen sind, lässt das kalt, ja, bestätigt sie darin, dass man Elfriede Jelinek in der Arbeiterklasse, die jetzt Haider wählt, ohnehin nie besonders geschätzt hat. Rituale wirken nach außen nur, wenn sie kognitiv dissonant sind, das heißt, vorgefertigte Emotionsklischees erschüttern. Deshalb funktioniert Mahnen und Warnen nie und bei niemandem. Und bei potenziellen Haider-Wählern auch nicht.

Rituale können richtig, weil moralisch korrekt sein, aber dennoch völlig sinnlos - wie Egon Krenz auf einer Antifa-Demo. Warum soll ausgerechnet Haider schlimmer sein als der Faschist Fini in Italien, der schon vor sechs Jahren Juniorpartner der Regierung Berlusconi war? Damals hat kaum jemand protestiert. Warum? Die Antwort ist einfach und ein Kompliment: Offenbar nehmen die Deutschen die Österreicher ernster als die Südländer ganz unten in Europa. Wer in Italien regiert, ist wurscht. Deshalb braucht man keinen Botschafter einbestellen, falls in Rom ein gelifteter Mussolini an die Macht kommt. Wenn die zu Konsultationen zurückgerufenen Diplomaten wieder an ihre Amtssitze zurückkehren, hat ohnehin die Regierung wieder gewechselt.

Die Seele der Österreicher jedoch gleicht der Kollektiv-Psyche ihrer nördlichen Nachbarn, deshalb Obacht! Die Wiener, Grazer und Salzburger sind wie wir: Sie nehmen das Regieren und das Opponieren dagegen ernst. Das Ausland gegen uns - schließet die Reihen fest zusammen! Das funktioniert nur, wenn die angesprochene Klientel vorher schon an das glaubte, was man jetzt meint, gegen den Druck von außen verteidigen zu müssen. Da ist der Österreicher, wenn man seinen Statements glauben will, wie der Serbe. Wenn ihr meint, uns befehlen zu können - jetzt erst recht. Und der Deutsche - man muss die Österreicher dringend warnen - reagiert seit Rot-Grün zu dieser psychischen Option passend: Wenn das Ausland nicht spurt, wird einmarschiert.

Wäre ja noch schöner, kommentiert die Zeit pro Einmischung in die inneren Angelegenheiten Österreichs, wenn man erst bei SA-Stiefeln auf Wiener Kopfsteinpflaster reagierte. Contra: Wer Demokratie sage, müsse auch den Wählerwillen respektieren. Mehrere Millionen Alpenländler können also nicht irren, auch wenn sie einen braunen Haufen gewählt haben.

Beide Positionen sind richtig und falsch: Die Grenzen der Nationalstaaten werden in naher Zukunft obsolet sein. Deshalb bleibt das Problem der regionalen Bonsai-Faschisten erhalten. Was wäre, wenn in Brandenburg ein nationaler Sozialist einen Zipfel der Macht erheischte? Soll man den absetzen, per Notverordnung der Bundesregierung? Den Bundesgrenzschutz einmarschieren lassen? Man kann sich kein anderes Volk wählen, wenn das die Falschen an die Schalthebel der Macht bringt.

Andererseits: Wenn schon symbolisch dagegen, dann richtig. Nicht nur »ein wachsames Auge auf sie werfen«, wie Theo Sommer schreibt. Das wäre nur ein sinnfreies Gütesiegel wie: der Verfassungsschutz beobachtet. Den Haider-Sympathisanten müsste nicht schöngeistige Kunst, sondern ein Denkmal auf den Ballhausplatz gesetzt werden, damit sie merken, wie das endet: Marschall Arthur Harris wäre eindeutig und würde aufrütteln.

Die Deutschen sitzen jedoch im Glashaus. Deswegen regen sie sich künstlich auf. Mit hochrangigen ehemaligen NSDAP-Parteigenossen an der Regierung und KZ-Baumeistern als Präsidenten kennen wir uns aus. Was unterscheidet schreckliche Juristen wie Filbinger oder Stahlhelmer wie Dregger von Haider? Nichts, außer Alter und Staatsangehörigkeit. Haider wollte schon immer die nur symbolische Grenze zwischen Neonazis und Rechtskonservativen verwischen. Diese Grenze hat es nie gegeben, nur als öffentliches Ritual und symbolisch, im Think Tank des Verfassungsschutzes und der Totalitarismus-Theorie. Schön, dass das jetzt deutlich wird.

Haider sei ein Populist, behaupten die Medien unisono. Er gebe die Meinung des Volkes wieder, hat aber selbst keine Meinung. Haider ist so modern und zeitgemäß wie die Kandidaten zur US-amerikanischen Präsidentenwahl. Die Deutschen lieben aber Gefühlsduselei. Wenn ein Politiker ein Buch schreibt, in dem er seine Taten ankündigt, meint er es ernst wie Hitler. Haider aber ist Populist und meint es angeblich gar nicht so. Die Standardfloskel deutscher Politiker, um zu erklären, warum das Volk nicht richtig gewählt hat, lautet: Es war eine Protestwahl. Richtig. Die Österreicher protestierten dagegen, sich mit sich selbst, ihrer Vergangenheit und ihrer Rolle in einem durch Immigration geprägten Europa beschäftigen zu müssen. Deshalb haben sie jetzt Haider.

Haider ist gut für die politische Kultur Europas. Er politisiert die Jugend und wirkt identitätsstiftender als die Teletubbies. Er zeigt, dass rassistische Stereotype und bodenständiger Antisemitismus Teil der Alltagskultur sind. Nazis sind Pop(ulärkultur). Österreich ist der Beweis: Populär-Faschismus à la Haider ist eine jederzeit abrufbare kollektive Option im Kapitalismus, eine Ideologie, die funktioniert und die Welt falsch, aber hinreichend erklärt. Haider zwingt auch und endlich die Österreicher, sich politisch, also moralisch zu entscheiden, in Europa anzukommen.

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