Ich schwöre: Die Überschrift ist mir eingefallen, bevor ich Focus online zum Thema gelesen habe. "Einer neuen Studie zufolge könnten sich die Neandertaler doch mit modernen Menschen gepaart haben." Der stern treibt es mit dem Konditionalis in schlechtem Deutsch noch vager: "...gab es wohl auch sexuelle Kontakte". Und das ist ohnehin nur eine dpa-Meldung. Sie zeigt, wie man Online-Journalismus, zumal über wissenschaftliche Themen, nicht verstehen sollte. In das folgende Zitat gehörten Links zu den Quellen, die spiggel.de als Service für die geneigten Leserinnen und wohlwollenden Leser natürlich eingebaut hat: "Menschliche Knochenfunde aus der Altsteinzeit, die rumänische und amerikanische Forscher um Erik Trinkaus von der Washington-Universität in St. Louis (US-Staat Missouri) in den "Proceedings" der US-Akademie der Wissenschaften vorstellen ("PNAS"; Online-Vorabveröffentlichung), deuten auf diese Vermutung hin. Die Forscher haben Alter und Form der Knochen, die bereits 1952 in der Höhle Pestera Muierii in Rumänien entdeckt worden waren, untersucht."
Ich hatte hier schon mehrfach wissenschaft.de gelobt: Eine vorbildliche Website, die zu jedem Anlass die richtigen Links bietet, ganz im Gegensatz zu den - mit Verlaub: immer noch - Schnarchnasen von Spiegel Online. Hier aber funktioniert der Link zur PNA nicht. Wir haben also zur Auswahl: Erik Trinkaus, (05.01.2006): "Revised direct radiocarbon dating of the Vindija G1 Upper Paleolithic Neandertals" oder ders., (08.08.2003) (!): "An early modern human from the Pestera cu Oase, Romania" - die einzigen beiden Artikel, in denen der Name der Höhle ("Cave of the Old Woman") vorkommt. Trinkaus selbst gibt als letzten Aufsatz auf seiner Website an: "Modern human versus Neandertal evolutionary distinctiveness." Current Anthropology 47(4), 597-620." Dort ist der Aufsatz (Abstract) erschienen - schon im August. Olle Kamellen also. Aber so lange braucht es, bis Nachrichten aus den USA bis nach Deutschland dringen.
"Of 75 cranial, mandibular, dental, axial, and appendicular traits in which the Neandertals and/or modern humans are derived relative to Early and Middle Pleistocene Homo, approximately one-quarter are shared among Neandertals and modern humans, a similar percentage largely unique to the Neandertals, and about half largely unique to modern humans. The results are similar whether the Neandertals are compared with the earliest modern humans or with their Late Pleistocene and more recent modern human successors. Even though these figures could shift modestly through variation in trait selection and/or as a result of a more complete earlier Pleistocene Homo fossil record, it is apparent that modern humans are morphologically more derived than the Neandertals. Our focus should therefore be at least as much on the evolutionary biology of early and recent modern humans as on that of the Neandertals."
Wenn man kühn schreibt "aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift", dann sollte man einen Link setzen. In diesem Fall stimmt es gar nicht. Focus Online (Hallo Jochen!) führt als Gegner der Thesen Trinkaus' Prof. Dr. Svante Pääbo [Wikipedia] an. Hier zum Vergleich die Zusammenfassung bei wissenschaft.de:
"Zusätzlich verglichen die Wissenschaftler die anatomischen Merkmale der Knochen mit denen von vier Vor- und Frühmenschenfunden – einem Neandertaler und drei anatomisch modernen Menschen aus verschiedenen Zeitperioden. Das Ergebnis: Grundsätzlich entsprach die Form der Funde der von Knochen des modernen Menschen. Allerdings stimmten unter anderem der niedrige Stirnbogen, bestimmte Merkmale des Unterkiefers und besonders das Schultergelenk fast vollständig mit denen des Neandertalers überein. (...) Diese Mischung deutet nach Ansicht der Wissenschaftler darauf hin, dass der moderne Mensch den Neandertaler nicht wie häufig vermutet vollständig verdrängte, als er nach Europa einwanderte. Vielmehr habe es eine komplizierte Dynamik in der Reproduktion gegeben, die eben auch zu Mischformen führte. Frühere Studien zu diesem Thema hatten widersprüchliche Ergebnisse erbracht. So ergab etwa ein genetischer Vergleich von Neandertalererbgut und dem Erbgut moderner Menschen keine Hinweise auf eine Vermischung." Der Titel der Paabo-Studie lautet : "No evidence of Neandertal mtDNA contribution to early modern humans."
Ich bin kein Anthropologe oder Biologe. Aber man kann annehmen, dass Sex keine Grenzen kennt und wenn es anatomisch möglich - also erectus - ist, alles denkbar ist. Vielleicht gab es ja zeitweilig einen Homo sapiens neandertaliensis. Fragt sich nur, welches der beiden Suffixe verschwunden ist. |