GRUNDSATZURTEIL VOM BVG ERWARTET Schlag gegen den Überwachungsstaat?Von Burkhard Schröder
Der Spiegel hat es als Vorabmeldung: "Das Bundesverfassungsgericht plant eine Grundsatzentscheidung zum polizeilichen Zugriff auf E-Mails und Handy-Verbindungsdaten. Politiker befürchten einen schweren Rückschlag bei der Bekämpfung von Kinderpornografie oder ähnlich schwerwiegenden Delikten."
Natürlich geruht Spiegel online nicht, die interessierten Surfer mit Links ins weltweite Internet zu belästigen, obwohl sich Chefredakteur von Blumencron auf dem Jonet-Tag zu behaupten erkühnte, sein "Online"-Magazin sei auch irgendwie ein Blog. Aber sicher: Falls man einen Links zum BVG setzte, würden alle Surfer dorthin wegzappen, weil diese Website viel interessanter ist als Spiegel online. Ach nein: Das BVG ist nicht in der Lage, eine barrierefreie Seite zu bauen, der Surfer muss trotz des Rates des BSI Javascript einschalten, um navigieren zu können. Aber wir schweifen ab.
Worum es bei dem Verfahren geht, kann man auf der Website des BVG detailliert nachlesen. Interessant, dass die üblichen Verdächtigen schon im Vorfeld jammern. In Kürze: Das Bundesverfassungsgericht will offenbar die Privatsphäre schützen und verhindern, dass die "Sicherheitskräfte" die privaten elektronischen Postkarten der Bürgerinnen und Bürger exzessiv mitlesen. Nur zur Information: In Deutschland beschwert sich kaum jemand darüber - der Obrigkeitsstaat ist per definitionem gut.
"Der Schutz des Art. 10 Abs. 1 GG erstrecke sich nicht nur auf den fernmeldetechnischen Übermittlungsvorgang als solchen; vielmehr seien auch die in den Endgeräten gespeicherten Verbindungsdaten, die beim Nutzer vorhandenen Einzelverbindungsnachweise und auf dem Computer gespeicherte Kommunikationsnachweise, insbesondere E-Mails, vom Schutz des Fernmeldegeheimnisses umfasst. Eine Beschränkung des Schutzbereichs des Art. 10 Abs. 1 GG auf den Übermittlungsvorgang werde der technischen Entwicklung nicht gerecht, weil viele Leistungen der heute üblichen Endgeräte nicht vollständig im Machtbereich des Nutzers lägen. Auch aus der Aktivierung von Zugangssperren (PIN und Passwort) werde deutlich, dass der Betroffene auch in seiner Sphäre an der Vertraulichkeit des Fernmeldeverkehrs festhalten wolle."
Der Gipfel der Idiotie ist selbstredend das, was der FDP-Politiker Ulrich Goll von sich gibt: Kinderschänder schreiben also über ihre Pläne und Taten elektronische Postkarten, die alle in Kopie beim Innenminister landen, und das muss so bleiben, weil man sie anders nicht kriegen kann? Kann einer allein so dämlich sein? Schon zu Zeiten Kanthers, der Kryptographie verbieten wollte, war das technische Niveau der Diskussion kaum zu unterbieten. Aber Goll versucht es. Vermutlich hat er privat einen DAU-Account bei gmx und belästigt seine Mitmenschen mit Werbung in der Signatur. So wird man in Deutschland Professor. Und auf das Totschlagsargument Kinderpornographie kann man warten wie auf das Amen in der Kirche, sobald ein deutscher Politiker den Begriff Internet auch nur von ferne hört.
Noch einmal zum mitschreiben: Straftäter, wenn wie nicht total doof sind, verschlüsseln ihre E-Mails. Da können die Schlapphüte nicht mitlesen, ob sie wollen oder nicht. Und normale brave Bürger auch. Nur die DAUs nicht, die haben nichts zu verbergen, weil sie ohnehin eine Webcam im Schlafzimmer haben.
Ich ärgere mich auch darüber, dass der Spiegel den Rattenschwanz von ohnehin zu erwartenden Textbausteinen kommentarlos anhängt. Es gäbe auch Alternativen: Der bekannte Internet-Experte Burks verkündete, dass Professor Goll nicht die geringste Ahnung habe, wovon er redete. Burks pries den Schutz der Privatspäre und das Bürgerrecht auf eben dieselbe in den höchsten Tönen. Er freue sich diebisch, so Burks, wenn das Bundesverfassungsgericht der Obrigkeit, den Internet-, Block- und Jugendschutzwarten eine schallende Ohrfeige verpassen würde.
Warten wir es ab. Die Verhandlung ist am Mittwoch. Und da bin ich in Budapest. Also müssen die geneigten Leserinnen und Leser das Urteil hier bloggenderweise selbst verkünden.
Update 20.11.:
"-----BEGIN PGP SIGNED MESSAGE-----
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Sehr geehrter Herr Schröder,
da die Website des Bundesverfassungsgerichts vom Institut für
Rechtsinformatik technisch betreut wird, wurde Ihre Mail an mich
weitergeleitet.
Um dem Anliegen der Barrierefreiheit Rechnung zu tragen, existiert die
Website des Bundesverfassungsgericht zusätzlich zur Grafikversion, die
Javascript zur Navigation verwendet, in einer inhaltlich identischen
Textversion. Sie erreichen die Textversion über den Link "Textversion"
(http://www.bundesverfassungsgericht.de/text) auf der Einstiegsseite.
Die Textversion verzichtet vollständig auf Grafiken,Framens, Javascript
oder sonstige aktive Inhalte. Sie kann daher sowohl mit Textbrowsern als
auch mit Screenreadern problemlos verarbeitet werden.
Wir die Website übrigens bereits bei der Eröffnung von einer blinden
Nutzerin testen lassen. Dabei hat sich herausgestellt, dass nicht nur
die Textversion sondern auch die Grafikversion für moderne Screenreader
trotz der auf Javascript basierenden Navigation gut zu verarbeiten ist.
Mit freundlichen Grüßen
Iris Speiser
(..)
Institut für Rechtsinformatik, Geb. A 5.4
Universität des Saarlandes, 66123 Saarbrücken
Tel: (...)
GPG Public Key ID: 0x04FD958E
http://rechtsinformatik.jura.uni-sb.de/institut/mitarbeiter/keys/speiser.asc
Version: GnuPG v1.2.1 (MingW32)
Comment: Using GnuPG with Thunderbird - http://enigmail.mozdev.org
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-----END PGP SIGNATURE-----"
Chapeau!
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