Die Konquistadoren - Leseproben
- Teil 1
- Kapitel: Leben und Tod
- Kapitel: Der Mann der Welser
- Kapitel: Gelobtes Land
- Kapitel: Brandzeichen
- Kapitel: Hohermuth
- Teil 2
- Kapitel: Am Rio Tocuyo
- Kapitel: Im Tal der Frauen
- Kapitel: Jagdfieber
- Kapitel: Eduvigis
- Kapitel: Der Fluch des Wassers
- Kapitel: Die Meuterei
- Teil 3
- Kapitel: Hunger
- Kapitel: Die Stadt der Geister
- Kapitel: Der Überfall
- Kapitel: Somondoco
- Kapitel: El Dorado
- Kapitel: Die Macht der Liebe
- I, 1. Kapitel: Leben und Tod
Die Ratte schnupperte. Sie hob zitternd und widerwillig ihr Pfötchen wie eine Katze, die durch Wasser laufen will. Dann trippelte sie eilig durch die schmierige Pfütze und verschwand in einer Ritze zwischen zwei Planken. Das Schiff legte sich träge auf die Seite. Die Unschlittlampe flackerte und schien zu verlöschen. Burckhardt Ansorg wälzte sich auf den Bauch, drehte den Kopf, würgte und erbrach grünen Schleim.
Seit Tagen hatte er nichts mehr gegessen, und sein Kehle war rauh und schmerzte, als sei sie entzündet. "Wasser!" krächzte er leise und tastete nach dem Eimer. Gegenüber, im Dunkeln, bewegte sich etwas. Ein dumpfes Pochen ertönte, als stieße ein Kopf gegen eine Wand, und ein Schmerzenschrei.
"Hundsfott, elender!" grummelte jemand. "Hier hast du Wasser!"
Ein Schwall übelriechender Brühe ergoß sich über den Boden und den Strohballen, auf dem Burckhardt lag, und löschte das Licht. Der Landsknecht warf den leeren Eimer gegen die Wand und ließ sich schwer in die Koje fallen. Er grunzte wie eine zufriedene Sau. Es war stockdunkel, aber niemand machte sich die Mühe, die Lampe wieder anzuzünden. Das Schnarchen vieler Männer grollte durch den stickigen Raum. Jetzt hörte Burckhardt Schritte, und eine Frau schrie unterdrückt, als träte jemand auf ihren Leib. Es krachte, und das Holz bebte, wie nach einem Axthieb, der wuchtig in einen Baum fährt. Ein Mann sagte ruhig:
"Muckst du noch einmal, hacke ich dich in kleine Stücke, verdammter Bastard."
Der junge Ansorg erkannte die Stimme. Es war Johannes Kestlin, ein Bergknappe aus Annaberg im sächsischen Erzgebirge, mit Fäusten so groß und hart wie ein Amboss. Der war gefürchtet für seinen Jähzorn, und selbst hartgesottene Landsknechte zollten ihm Respekt. Burckhardt hörte, wie Kestlin seine Barte, die schwere Axt der Bergknappen, knirschend aus dem Gebälk zog und sich schwer atmend auf das Lager fallen ließ. Der Soldat, den Kestlin gemeint hatte, gab keinen Laut von sich.
- I, 3. Kapitel: Gelobtes Land
Wenig später kam ein Indier herein. Er trug eine abgewetzte und vielfach zerrissene Schaube, deren Farbe man kaum noch erkennen konnte, über der nackten Brust, aber kein Beinkleid, sondern nur eine Kalebasse vor dem Gemächte, die mit Schnüren an einer Art Stoffgürtel befestigt war. Seine Ohren waren durchbohrt, aber ohne Schmuck. Um den Hals hatte er viele Ketten aus winzigen bunten Kugeln und eine aus großen, wie Trompeten geformten Muscheln. Ein Fetzen Tuch war um seinen Arm gewickelt, darauf saß ein großer, grellbunter Vogel mit einem gefährlich krummen Schnabel und mächtigen Krallen. Der Mann hob lässig die Hand und sagte in flüssigem Spanisch:
"Man nennt mich Cara Vanicero. Das ist mein Haus. Sei willkommen! Meine Frauen haben mir gesagt, dass die neuen Bärtigen die Sprache der Christen verstehen?"
Burckhardt musste lachen.
"Ich bin auch ein Christ", antwortete er, „ich bin nur aus einem anderen Land als die Spanier, aus Sachsen. Die Leute dort sprechen deutsch, aleman."
"Das ist das, was sich anhört, als haben man eine Krankheit in der Kehle? So wie Micer Ambrosio sprach?"
"Ja, wahrscheinlich", antwortete Burckhardt und musste noch mehr lachen. Cara zeigte auf die Mutter:
"Sie ist krank. Sie muß viel trinken, dass die bösen Säfte aus ihrem Körper fliehen. Und Tobacco rauchen."
Burckhardt schüttelte heftig den Kopf.
"Lieber nicht. Davon wird sie nur noch mehr krank. Es geht ihr schon besser. Sie hat mit mir gesprochen."
Cara nickte.
"Die Hitze ist nicht gut. Schlafen ist gut." Er hob den Arm mit dem großen Vogel und ließ den sich auf eine Stange setzen, die zwischen zwei Querhölzern an der Wand befestigt war. Der Vogel flatterte heftig, sperrte den Schnabel auf und krächzte: "Cabron! Cabron!"
Burckhardt erschrak. Er hatte noch nie einen sprechenden Vogel gesehen. Doch Cara lachte nur und warf dem Vogel ein paar Worte in seiner Sprache hin. Dann sagte er:
"Wir nennen den Vogel Arara. Wir lachen viel über ihn, und die Kinder ärgern ihn oft. Pass auf seinen Schnabel auf, er beisst! Wir haben ihm die langen Federn am Schwanz ausgerissen, dass er nicht davonfliegen kann. Und wie ist dein Name, Mann mit dem gelben Haar?"
Burckhardt nannte seinen Namen, schaute aber immer noch nach dem Vogel, als ob er noch andere Überraschungen von ihm erwartete. Cara wiederholte:
"Burcardo. Ich verstehe nicht, was das bedeutet. Aber heute abend gibt es ein großes Fest in einem anderen Dorf. Willst du mitkommen? Ich will meinen Freunden zeigen, dass mein Gast Haare wie der Mais auf den Feldern hat."
Burckhardt stimmt erfreut zu.
"Woher kannst du so gut Spanisch?" fragte er. "Und sind die Mädchen deine Frauen?"
"Ich übersetze", antwortete Cara, "schon für Micer Ambrosio, für Capitan Limpias und für Capitan Martin. Die Frauen sind alle meine Frauen, zwei Schwestern und die Frau ihres Onkels, der gestorben ist im Krieg gegen die Xidehara."
"Gegen die Xidehara?"
"Ein böses Volk drüben in den Bergen. Sehr tapfer, sehr kriegerisch. Die Spanier fangen und verkaufen sie an andere Christen. Die Spanier schützen uns vor den Xidehara. Als die Bärtigen kamen, wurden wir alle sehr krank, überall Beulen," - er rieb an seinen Armen, als hätte er die Pocken - "viele starben. Aber die Bärtigen kämpfen für uns gegen unsere Feinde. Und ich übersetze für sie. Die Tochter meines Vaters ist bei den Xidehara."
Cara nickte heftig, um zu zeigen, dass er etwas sehr Wichtiges gesagt hatte.
"Die Tochter deines Vaters?" fragte Burckhardt ungläubig. "Das ist doch deine Schwester?"
Cara nickte wieder mit Nachdruck.
"Meine Schwester, ja. Aber eine Schwester von einer anderen Mutter. Und von einem anderen Vater. Ihre Mutter war Xidehara. Der Bruder meines ersten Vaters hat sie im Krieg gewonnen, bevor die Bärtigen kamen und wir alle Christen wurden."
"Du bist Christ?" Ansorg kam aus dem Staunen nicht heraus. Und die Geschichte mit den vielen verschiedenen Vätern, Müttern, Schwestern und Brüdern verstand er auch nicht. Cara antwortete:
"Muy securo, sicher, ich glaube an den Gott der Spanier. Er ist sehr mächtig. Und an seine Mutter, die Maria heisst. Kyrie eleison. Und in nomine patri und fili."
- II, 5. Kapitel: Der Fluch des Wassers
Burckhardt war einer der Reiter, die den Schluß bildeten und zuletzt in das Kampfgeschehen eingriffen. Er wehrte mehrere Keulenhiebe gegen seine Beine mit der Axt ab, die den Schaft der hölzernen Waffen spalteten, als glitten sie durch Butter. Plötzlich bäumte sich sein Pferd auf, eine Lanze hatte es in den Hals getroffen. Gleichzeitig sprang ein Indier mit blutendem Kopf ihn an, klammerte sich am Sattel fest und versuchte, sich zu ihm hochzuschwingen. In der Rechten hielt er eine schwarze Keule. Das Pferd wieherte vor Schmerz und schlug vorn und hinten aus, als wollte es die Last auf seinem Rücken abwerfen. Burckhardt hing vornüber und musste die Barte fallenlassen, sonst wäre er über die Kruppe des Pferdes gestürzt. Er hob die Linke mit dem Schild, um nach dem Indier zu schlagen. Dessen Nägel krallten sich in seinen Arm. Er hörte sich schreien, er wusste nicht was, drehte den Kopf und sah das Weiße in den Augen des angreifenden Kriegers. Blut strömte über dessen Stirn, und sein Gesicht war verzerrte vor Angst und Schmerz. Ansorg sah die Keule über sich schweben, aber konnte sie nicht abwehren, weil der Indier seinen Arm festhielt. Er versuchte mit der Rechten, ihn zu stoßen. Jetzt saß der Angreifer schon halb auf dem Sattel und hieb mit der Keule auf die Tartsche ein. Ansorg rutsche auf der rechten Seite mehr und mehr hinunter. Nur sein Fuß hing noch im Steigbügel. Die Angst durchflutete ihn, und ein stechender Schmerz durchfuhr seine Schulter. Dann zerbrach sein Schild in zwei Stücke, das Pferd knickte mit den Vorderbeinen ein. Ein Hieb mit der Keule traf Burckhardts Kopf. Es dröhnte, als stünde er neben den Glocken einer Kirche. Er spürte, wie er fiel, wie sein Rücken auf etwas Weiches prallte und wie der Körper des Pferdes neben ihm aufschlug. Dann schwanden ihm die Sinne.
Als er die Augen wieder aufschlug, blickte er in das zerfurchte Gesicht Esteban Martins, der ihn an der Schulter rüttelte. Benommen richtete er sich auf. In seinem Kopf hämmerte es dumpf, als schlüge jemand direkt neben ihm mit einem Schlegel auf ein Stück Eisen. Er fasste sich an den Hinterkopf und fühlte geronnenes Blut und dass die Gugel feucht davon war. Neben ihm lag ein toter Indier. Ein Rapier war ihn durch das Auge gedrungen, und dunkles, getrocknetes Blut bedeckte sein ganzes Gesicht. Der Mund stand offen, als schrie er noch im Tod voller Entsetzen. Ansorg richtete sich taumelnd auf und wandte sich ab, ihn schauderte. Doch sofort übermannte ihn Schwindel. Er sank in die Knie und übergab sich.
Überall im Gras lagen blutige Fetzen von Fleisch, tote Körper, auf denen sich die schwarzen Fliegen sammelten und summten wie ein Bienenschwarm. Burckhardt quälte sich wieder hoch. Er würgte immer noch. Direkt vor ihm lag der tote Kazike Atacari und vier weitere Indier, die Glieder verrenkt und gebrochen. Die Farbe ihrer schwarzen Bemalung floß mit dem Blut ihrer Wunden und dem Regenwasser zusammen, das sich über sie ergoß. Der unterste regte sich noch, er drehte den Kopf zur Seite. Jetzt sah Burckhardt, dass es eine Frau war. Sie hielt ein totes Kind umklammert, in dessen Rücken eine breite Wunde klaffte. Sie hatte die Augen geschlossen und röchelte. Ein Schwall hellen Blutes schoß aus ihrem Mund. Ansorg schreckte zurück, stolperte über einen Körper und fiel auf den Rücken. Er schrie auf, weil sein Kopf wieder schmerzte und pochte wie ein Hammerwerk.
Ein Trupp Soldaten kam heran, Andreas Gundelfinger führte sie. Sie trugen blutigen Rapiere in ihren Händen. Jeden Indier, der noch lebte, töteten sie sofort. Gundelfinger drehte einen leblosen Körper um und zeigte auf einen Verwundeten, der sich unter ihm hatte verstecken wollen. Ein Landsknecht stach ihm durch die Kehle. Der Indier gurgelte wie ein Ertrinkender und sank dann leblos in sich zusammen.
Ansorg blickte um sich. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Alles verschwamm vor seinen Augen. Hinter sich hörte er jemanden aus Leibeskräften kreischen. Das Geräusch erinnerte ihn an die Mutter, als sie das tote Kind auf dem Schiffsdeck geboren hatte. Er erkannte die Stimme Mauricio Butzlers. Er hielt sich die Ohren zu, aber das Gebrüll drang ihm immer noch durch Mark und Bein. Er stolperte vorwärts, bis er den Schneeberger erblickte. Butzler war völlig nackt. Er hatte sich das Hemd und das Beinkleid vom Leib gerissen und stand mit hoch erhobenen Händen da, rollte mit den Augen und brüllte wie ein Stier auf der Schlachtbank.
- II, 6. Kapitel: die Meuterei
Der Alte lehnte sich schwer atmend wieder zurück. Burckhardt fragte ungläubig:
"Der aus Kempnitz, der nie etwas sagt?"
Gunther Ansorg nickte und fuhr leise fort, als fürchtete er, ein Unberufener könnte seiner Erzählung lauschen:
"Ziener ließ jeden der Bauern die Hand heben und auf ihn schwören. Der andere Feldhauptmann war Wolf Göftel, ein Bergknappe wie wir. Die Herren haben später beide martern und enthaupten lassen. Und aus Zwickau kam die Nachricht, dass die Bauern dort einen Bund gegründet hatten. Sie nannten ihn den "Schwarzen Bund", und trugen eine Fahne vor sich her in allen Farben des Regenbogens. Auf ihr ward geschrieben: "das Wort des Herrn bleibe ewiglich". Hanns Wilder, der war damals dabei. Aber auch er redet nicht gern über die Zeit.
Im März kam es in Annaberg zum offenen Aufruhr. Wir ließen Josef Langer Artikel aufschreiben, mit dem, was wir vom Herzog und vom Bergherrn forderten. Der Rat hatte die Hosen voll, die braven Bürger fürchteten, wir würden ihr Land und ihr Vieh unter die Bauern aufteilen, wie es in Mühlhausen geschehen ist. Sie baten uns mit schlotternden Knien, wir sollten keine Gewalt anwenden gegen sie.
Dann endlich erreichte uns eine Botschaft aus Böhmen. Hanns Yleis und Johannes Kestlin überbrachten sie uns. Johannes hatte damals gerade die Anna zur Frau genommen, sie war fast noch ein Mädchen. Im Mai stürmten die Bergknappen in Joachimsthal das Schloß und das Rathaus, vertrieben den Bergherrn und nahmen den Bürgermeister gefangen. Kestlin berichtete, es lagerten über zehntausend Mann in der Stadt, Bauern von weither und viele Bergknappen. Und Thomas Müntzer sei in Joachimsthal gewesen und zöge jetzt, das sei ihnen zu Ohren gekommen, mit vielen Tausend Reisigen nach Frankenhausen. Einige von uns wollten ihm zur Seite stehen und brachen sofort auf, es waren mehr als vierhundert Berggesellen und Bauern.
Die Bergknappen wählten mich und Johannes Kestlin als ihre Sprecher. Wir sollten die Ratsherrn aus Annaberg begleiten. Die wollten nach Joachimsthal ziehen, um dort mit den Aufrührern zu verhandeln. Sie fürchteten wohl, ihnen würde es so ergehen wie den hohen Herren im Böhmischen. Doch wir verrieten dem Rat nicht, was wir in Wahrheit taten: der Bund der Häuer aus Annaberg schickte ohne Wissen der Obrigkeit Pulver und Geschütze in’s Böhmische.
Als wir dort Ende Mai ankamen, war die ganze Stadt in Aufruhr. Sie hatten die Amtleute in ein Verlies gesperrt, und ein Trupp Bewaffneter führte johlend einen Gefangenen durch die Straßen, einen hohen Herrn, der aus Augsburg gekommen war, um dem Bergherrn beizustehen, weil seinen Herren, den Welsern, die Bergwerke gehörten. Es war Heinrich Remboldt. Er sah jämmerlich aus, die Kleider in Fetzen, und überall war er voll Blut. Die Bauern hatten die Reiter, die ihn zu seinem Schutz begleiteten, erstochen und wollten ihn schon auf ein Rad flechten."
- III, 2. Kapitel: Die Stadt der Geister
Endlich, es begann schon zu dunkeln, entdeckte Burckhardt hoch über ihnen eine Art Wand aus Stein, geschützt durch einen Felsüberhang, der den Regen abhielt. Ein Wasserfall ergoß sich von oben. Er schützte die Wand vor den Blicken Neugieriger, die von der anderen Seite des Tales herüberschauten. In der Wand schien eine Reihe von Höhlen zu sein, deren Eingänge jemand fast vollständig mit gebrochenen Steinen und Schutt geschlossen hatte. Das war sicher kein Zufall. Mit Mühe kletterten sie hinauf. Das Wasser von oben durchnäßte sie bis auf die Haut. Martin steckte sein Rapier in die Scheide und begann sofort, die Steine zu entfernen. Er warf sie einfach nach unten. Der Hang war so steil, dass sie rumpelnd hinabrollten und platschend in den See fielen. Eduvigis rieb Hölzer aneinander und entzündete ein kleines Feuer, damit sie eine Fackel hatten, falls die Höhlen in das Innere des Berges führten.
Jetzt war das Loch groß genug, um einen Menschen hindurchzulassen. Nacheinander kletterten sie hinein. Der Schein der Fackel beleuchtete die schwarzen Felswände, sie mussten sich ducken, so niedrig war die Höhle. Es sah beinahe so aus, als sei sie von Menschenhand geschaffen worden, denn sie war staubtrocken.
Martin ging mit der Fackel voran. Plötzlich stieß er einen Schrei aus. Burckhardt zog sofort sein Schwert. Noch nie hatte er erlebt, dass sich der Spanier erschrocken hatte. Martin rief sie, und seine Stimme klang merkwürdig rauh, als steckte ihm etwas in der Kehle. Eduvigis gab einen erstickten Laut von sich und schlug die Hände vor den Mund. An der Wand der Höhle, am hintersten Ende, lagen Leichen auf einem Holzgerüst, mehr als ein Dutzend, fast vollständig bekleidet mit braunen Gewändern, die bis zu den Füßen reichten. Der Schein der Fackel tanzte auf den Gesichtern. Burckhardts Knie wurden weich, als er sich den Toten näherte. Sie lagen dort, mit angezogenen Knien, aber waren nicht verwest: Die dunkelbraune Haut spannte sich über ihren Wangenknochen, die Haare waren lang gewachsen und miteinander am Boden verfilzt. Drei Frauen trugen ein Kind im Arm. Die Augen gähnten leer, und die Zähne der Toten bleckten wie bei einem Knochenmann. Vor einem der Gestalten lag ein kleines verknöchertes Tier, wie eine Katze. Es riß die Reißzähne auseinander und hatte einen Holzpflock in der Nase.
"Was ist das?" flüsterte Burckhardt.
Esteban Martin antwortete ebenso leise, und seine Hand mit dem gezogenen Schwert zitterte.
- III, 3. Kapitel: Der Überfall
Sie fuhren auf und lauschten. Noch ein Schuß, gefolgt von einem Geheul, das ihnen das Blut in den Adern stocken ließ. Das waren nicht die Indier auf dem Felsen, es mussten viel mehr sein, gar Hunderte. Jetzt hörten sie aus weiter Ferne das vielstimmige "Santiago!" und "Dios y la Virgen!" Esteban Martin und der Haupttrupp wurden angegriffen!
"Verdammt", stieß Villegas halblaut hervor, hieb das Messer in die Scheide und zog die lange Toledaner Klinge. "Jetzt gilt es!"
Ansorg, Taig und El Castillito griffen ebenfalls zu ihren Schwertern. Eduvigis lag auf dem Boden und wimmerte. Ansorg fühlte, dass seine Knie vor Erregung zitterten. Villegas hob das Schwert, hielt einen Augenblick inne und sah die anderen reihum flammenden Auges an. Sein Gesicht war gerötet, der Schweiß troff an seinem Kinn herab.
"Wer jetzt nicht ficht wie der Teufel, stirbt! Santiago y a ellos!"
Er drehte sich abrupt um und lief gebückt und ohne sich umzuschauen dorthin, wo Burckhardt die Indios beobachtet hatte. Die anderen folgten ihm unmittelbar auf dem Fuß. Niemand kümmerte sich um Eduvigis.
In wenigen Augenblicken erreichten sie den Rand des Felsens. Die meisten der Indios standen oder hockten und sahen in die Tiefe, wo der Kampf tobte, wie sie an dem Lärm hören konnten. Doch mehrere hatten soeben Pfeile aufgelegt und erwarteten die vier Konquistadoren, die sie durch das Gebüsch eilen hörten. Als sie zwischen den Kakteen hervorstürmten, griffen die anderen Tschocos zu ihren Keulen. Der Kazike saß immer noch auf dem Boden, die Krause umschloß seinen Hals. Somondoco stand allein, abseits der anderen, hielt in der rechten Hand eine lange Lanze und in der Linken einen kleinen runden Schild, der mit dem Fell eines Tieres überzogen worden war. Er bewegte sich nicht und blickte ihnen ruhig entgegen.
Die Tschocos brüllten, die ersten Pfeile zischten. Ansorg hörte, dass er selbst schrie, was, das wusste er nicht. Eine heiße Welle stieg in ihm empor, die alles, was er sah und hörte, seltsam dämpfte. Er beobachtete das Geschehen, als wenn er selbst nicht daran teilnähme. Neben ihm stand "El Cuchillito", auf den drei oder vier Indios mit hoch erhobenen Keulen eindrangen. Der stach einem Angreifer in die Brust. Der Tschoco fiel mit ersticktem Schrei, ein anderer traf den Spanier mit einem wuchtigen Schlag auf die Schulter. "Das Messerchen" schrie in Schmerz und Todesangst und ließ das Schwert fallen. Ein ellenlanger Pfeil durchbohrte seine Kehle von der Seite und trat auf der anderen Seite wieder aus, Blut schoß heraus. Der Spanier knickte ein, drehte sich mit einem Gurgeln zur Seite und fiel schwer auf den Boden.
Zwei Mannslängen vor ihm tobte Hauptmann Villegas wie ein Dämon aus der Hölle. Er brüllte bei jedem Schlag, den er mit seinem Schwert führte, heiser wie ein todwunder Ochse. Er musste sich eines halben Dutzends Angreifer erwehren. In wenigen Augenblicken hatte er sie erstochen oder so schwer verwundet, dass sie heulend am Boden lagen. Die hölzernen Keulen trafen ihn, es krachte dumpf, seine Rüstung und der Helm hielten aber die größte Wucht ab. Die Reste seines Beinkleides und seiner Ärmel hingen in Fetzen herab. Er blutete aus mehreren Wunden.
Die Indios rannten verzweifelt gegen ihn an. Der Hauptmann wich ihren Schlägen geschickt aus und verteilte schnelle Streiche nach allen Seiten. Jetzt schreckten die verbliebene Tschocos vor ihm zurück. Ein Pfeil hatte Villegas’ Bein durchbohrt. Er achtete dessen nicht, sondern kämpfte sich bis zum Rand des Felsens vor, wo er den Kaziken der Huitoto sah.
- III, 4. Kapitel: Somondoco
Einige Klafter entfernt saßen die beiden Krieger der Indier, eingehüllt in Decken, und beobachteten ihn. Der Mond beleuchtete ihre Gesichter. Somondoco war nicht zu sehen. Ringsum standen niedriges Buschwerk und Büschel von Gras. Eine mannshohe Palisade aus Holz umgab das ganze Gebäude. Er schaute empor zum Firmament. Dort war es: das Kreuz des Südens, das ihn seit der Ankunft in der neuen Welt begleitet hatte. Es war ihm schon vertraut und gab ihm das Gefühl, nicht verloren zu sein. Er stellte sich vor, dass auch sein Vater und sein Bruder jetzt die Sterne anschauten, es schien, als sei er mit ihnen durch ein unsichtbares Band verbunden. Über der Palisade glomm ein Feuerschein, als stünde irgendwo in der Nähe ein hohes Haus mit Fackeln oder Feuern, die die Stadt erleuchteten. Still legte er sich neben Eduvigis. Sie erwachte dennoch und flüsterte:
"Schlafe, mein Mann. Hier geschieht uns nichts."
"Wie heisst dieser Ort?" fragte er.
"Tunja. Das ist die größte Stadt der Muisca. Morgen wirst du ihren obersten Kaziken sehen, sagt Somondoco."
Sie küßte ihn sanft auf den Mund. Burckhardt legte seine Hand auf ihren nackten Bauch und schloß die Augen.
Ansorg wusste nicht, ob er träumte. Die Töne kamen von weit her, leicht, wie die zarten Wolken des Frühlings, unzählige winzige Glocken, die süß den Morgen grüßten, als ob die Luft voller Harfen wäre. Ihn fröstelte. Die Musik klang unheimlich, er hatte so etwas noch nie gehört, als sänge ein Chor fremder Geister. Eduvigis erwachte, sie zog die Decke über ihrer Brust zusammen und horchte.
"Hörst du das auch?" fragte sie erstaunt.
Er nickte. Ihn dürstete, und er schöpfte Wasser aus dem Krug neben ihrem Lager. Draußen schien es Tag, aber die Hütte hatte keine Fenster, und der einzige Eingang war mit einer hölzernen Tür verschlossen. Die Sonne drang durch die Ritzen. Sie wagten nicht, sich bemerkbar zu machen, denn sie wussten nicht, was sie draußen erwartete. Als sich nichts tat, legten sie sich wieder auf das Lager. Ansorg fühlte den Schmerz in seiner Schulter pochen, aber er war weit geringer als am Vortag zu spüren.
Eduvigis lag auf dem Rücken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Ihre langen Haare breiteten sich über dem Fell aus wie ein Fächer. Ihre Brüste lugten unter der Decke hervor. Sie sah ihn verschmitzt an, blieb aber stumm.
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