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Dieser Artikel erschien
- leicht gekürzt -
am 6.8.2000 im Berliner
Tagesspiegel
.Schneller als James Bond
  - Geheimdienste im Internet
John Young hat einen Beruf und eine Berufung. Er ist erfolgreicher Architekt in New York und ebenso erfolgreicher Verräter von Geheimnissen. Er plaudert die Interna aller Geheimdienste im Internet aus, falls er ihrer habhaft werden kann. Das Geheime ist Familientradition: sein Vater war Agent des CIA. Young Junior beteuert auf seiner Website, dass sein Vater nie relevante Dinge verraten habe und auch mit dem Treiben des Sohnes aus berufsethischen Gründen nicht einverstanden sei. Youngs neuster Coup, mit dem er ein weltweites Presseecho auslöste: Er veröffentlichte eine Serie brisanter Dokumente, in denen die Central Intelligence Agency ihre japanischen Kollegen über interne Strukturen des Dienstes informiert. Youngs Website cryptome.org enthält sogar die japanische Übersetzung und Abdrucke der Visitenkarte hochrangiger Geheimdienstoffiziere.

Kurz nachdem Young das Material im Juli im World Wide Web publizierte, war seine Website nicht mehr erreichbar. Ein unfreiwilliger Werbe-Coup - die Anfragen schnellten sofort in die Höhe. Seine Fans vermuteten einen Angriff von Geheimdienst-Hackern auf Cryptome. Das renommierte Magazin Wired verbreitete das Gerücht, Youngs Homepage läge unter virtuellem Geschützfeuer; es handele sich um eine "Denial-of-Service"-Attacke, also um eine massive und durch Software gesteuerte Welle fingierter Anfragen, um den Rechner lahmzulegen. Das Usenet quoll über von Verschwörungstheorien. Die Titel der Diskussionsforen sprechen für sich: alt.security.espionage, alt.fan.cult-dead-cow - der Name einer bekannten Hacker-Gruppe -, alt.government.abuse und natürlich alt.conspiracy.jfk (John F. Kennedy), ein Tummelplatz für die Surfer, die überall finstere Mächte vermuten oder Intrigen aus dem Schlapphut-Milieu. Binnen weniger Stunden waren Youngs Dokumente weltweit kopiert und im Internet "gespiegelt". In Wahrheit war nur der Server des Providers Digital Nation kurzfristig zusammengebrochen. Young gab in einem Telefongespräch zu, dass er nichts von gezielten Angriffen wüsste und dass er die Rechner-Probleme "auf das gigantische Medieninteresse" zurückführe.

Dank des Internets bleibt kaum noch etwas wirklich verborgen. Es gebe "in unserer modernen Welt" nur mehr wenige Geheimnisse, "die sich der neugierigen Öffentlichkeit noch verschließen," heisst es auf der Homepage des Bundesnachrichtendienstes. Um so mehr blühen die Gerüchte, dass die Wahrheit nur ein Fake sei, um die Surfer in die Irre zu führen. Wer, wie der Bundesnachrichtendienst oder die US-amerikanische National Security Agency, freiwilllig einiges über sich preisgibt oder sogar Stellen öffentlich ausschreibt, gerät um so mehr in Verdacht, besonders perfide zu täuschen. Die Regierung der USA und die CIA beeilten sich nach der Veröffentlichung John Youngs zu versichern, an seinen Dokumenten sei nichts wirklich geheim.

Ehemalige Agenten, die sich ungerecht behandelt fühlen, informieren ihre Ansprechpartner der auf Geheimdienst-Themen spezialisierten Websites: Intelligence Watch Report (IWR), Intelligence Resource Program (FAS) -. eine Organisation ehemaliger Geheimdienst-Offiziere - oder die riesige koreanische Linksammlung "Intelligence and CounterIntelligence". Nur im Mutterland der Spionage-Literatur und James Bonds, in England, nimmt man Geheimes noch richtig ernst. Daher intervenieren britische Schlapphüte immer wieder, wenn jemand etwas publiziert, was man lieber geheim gehalten hätte. Meistens erfolglos - das Internet ist schneller als jeder Agent. Im Juli 1999 veröffentlichte Richard Tomlinson, ein ehemaliger Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes MI6, eine Liste mit mehr als 100 Namen angeblicher Spione ihrer Majestät, viele von ihnen in heiklen Auslandsmission unterwegs. Tomlinson war ohne Angabe von Gründen entlassen worden und kämpft seit Jahren, beflügelt vom Hass des Konvertiten, gegen seinen früheren Arbeitgeber. Der MI6 sprach bei dem Schweizer Provider vor, auf dessen Rechner die Namenliste lag, und erreichte, dass die Seite wieder aus dem Internet verschwand. Wenig später wiederholte sich die Angelegenheit, jetzt beim amerikanischen Provider GMX. Auch dort übten die britischen Schlapphüte erfolgreich Druck aus. Jetzt liegt eine Kopie der Liste auf der Website John Youngs in New York, neben umfangreichen anderen Dateien: ein "Intelligence Analysis Training Handbook", eine Liste der Mitarbeiter des japanischen Geheimdienstes PSIA und zahlreiche geheime Unterlagen der CIA.

Wäre die Website John Youngs für Geheimdienste gefährlicher als die Berichte in den Medien, könnten die Online-Agenten etwa der NSA sie natürlich ständig attackieren und den Zugriff so gut wie unmöglich machen. Youngs lagert mehr als 3000 Dateien auf seiner Homepage, deren Namen und Titel jedoch oft interessanter aussehen als der Inhalt: Handbücher für Terroristenbekämpfung, psychologische Kriegsführung, "Analytic Thinking and Presentation for Intelligence Producers". Wer etwas Geheimes verraten will, kann anynom über einen FTP-Server Daten aufspielen (ftp://ftp.cryptome.org). Interessanter sind eher die sorgsam gesammelten Presseartikel über Geheimdienst-Projekte wie Echelon und Tempest, ein unverzichtbares Archiv für Journalisten, die sich für das Thema Spionage auch in Europa interessieren.

Wer das Internet und andere frei verfügbare digitale Quellen geschickt vernetzt, kann auch als Laie ebenso viel herausfinden wie ein Top-Spion. CR-Roms mit detaillierten Luftaufnahmen ganz Deutschlands, kombiniert mit den in Buchform vorliegenden Standorten geheimer Abhöranlagen ergeben eine Karte aller Lauschstationen. Diese ist im World Wide Web schon seit Monaten verfügbar. Dafür hätten sich noch vor zwei Jahrzehnten Dutzende von Schlapphüten die Füsse wundgelaufen und "tote Briefkästen" mit Mikrofilmen gefüllt.

Die Geheimdienste und die Verräter ihrer Geheimdienste brauchen sich gegenseitig. Wenn der Verrat nicht möglich ist, ist das Geheimnis nicht wichtig. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) ist deshalb im Internet auch nicht präsent, im Gegensatz zu den ausländischen Kollegen. Man nimmt sich und die Arbeit zu wichtig, um etwas über sie zu verraten. Der Bundesnachrichtendienst gibt sich nicht öffentlichkeitsscheu, aber Details verrät über die Lauschangriffe verrät er auch nicht: "Die eingesetzten technischen Verfahren können aus verständlichen Gründen nicht offen gelegt werden." Warum? Weil die Überwachten "sich durch entsprechende Anpassung ihrer Verhaltensweisen dieser Erkundung weitgehend entziehen könnten."

Welche Verhaltensweisen man als Bürger wählen sollte, um sich der Überwachung zu entziehen, erfährt man im Internet. Der Bundesnachrichtendienst, das sei hier verraten, benutzt für seine geheime Post asymmetrische Verschlüsselungsverfahren. Die sind nicht knackbar, weil die Faktorisierung sehr grosser Primzahlen, auf denen diese Methode beruht, ein mathematisch ungelöstes Problem ist. Wer E-Mails wie ein Top-Spion schreiben will, kann eine derartige Software auch gebrauchen. Sie heisst zum Beispiel Pretty Good Privacy (PGP) und ist kostenlos im Internet zu beziehen. Für den Internet-Surfer, der keine Geheimnisse über sich ausplaudern will, gilt daher: Gestatten Sie, mein Name ist Bond, James Bond. Schreiben Sie mir eine E-Mail!

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