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Erschienen am 04.08.2000
im Tagesspiegel, Berlin
.Sieben Hügel, Filter und der Penis

Wissen ist Macht, aber wer was wissen darf, bestimmen wir. Das war immer das Motto der Mächtigen. Wir Deutschen kennen das: wir haben den Obrigkeitsstaat erfunden und die Erziehungsdikatur. Zum grossen Glück für die Menschheit ist das Internet keine deutsche Erfindung. Es gäbe für jeden Mausklick schriftliche Durchführungsbestimmungen, überall warteten Kontrollen, Web-Warte und Filter, wie sie die deutsche Justizministerin jüngst forderte.

Selbst die deutsche Kultur, widmet sie sich den neuen Medien und dem Internet, kann sich aus der lähmenden Tradition nicht befreien, den Surfer bevormunden zu wollen. Die Ausstellung "Bilder und Zeichen des 21. Jahrhunderts" im Martin-Gropius-Bau präsentiert den Besucher Wissen hautnah. Auch die Wissensmaschine Internet: Computer laden zum Surfen ein.

Doch halt: Surfen kann man nur im Prinzip. Wo kämen wir denn hin, werden sich die Macher gesagt haben, wenn jeder in den heiligen Hallen womöglich nicht ganz jugendfreie Dinge auf die Monitore zaubern könnte? Deshalb fehlt die Tastatur: eine Kugel bewegt die Maus, und ein Knopf ersetzt die Eingabetaste.

Das reizt zur Improvisation. Unter der Rubrik "Zivilisation" klicken wir zum Bundestag, immer noch ganz seriös, dann zu den Linksammlungen und privaten Homepages einzelner Abgeordneten. Von dort eröffnet sich die weite bunte Welt per Mausklick, auch ohne Tastatur. Klick, klick, klick - schon erscheinen die ersten nackten Brüste, dann illegale Hacker-Software, dann das Logo der Berliner Autonomen-Zeitung "Interim". Nicht unbedingt das, was der brave Besucher auf den sieben Hügeln erwartet. Beifälliges Grinsen der umstehenden Jugendlichen. Aus Mitleid mit dem aufgeregten Wachpersonal wieder zurück. Klick, klick, klick, und die Ausstellungwelt ist wieder in Ordnung.

Doch dann eine Überraschung: einige der Seiten des Autors können nicht gezeigt werden. Es befänden sich dort kinderpornografische Inhalte, ist auf dem Monitor zu lesen. Die Macher haben SiteCoach - eine Filter-Software - installiert.Warum? Das weiss niemand, und das lässt sich auch nach intensiver Recherche nicht herausfinden. Gereon Sievernich, einer der Ausstellungsleiter, will nicht verraten, welche Firma zuständig war, behauptet aber: "Uns wurde zugesagt, man könnte nur Seiten aufrufen, die thematisch im Zusammenhang mit der Ausstellung stünden."

Das ist natürlich Unfug, auch wenn man dem Surfer aus pädagogischen Gründen die Tastatur unterschlägt. Die Software verbietet Websites, die bestimmte Schlüsselworte enthalten, zum Beispiel alle Artikel des Autors im "Tagesspiegel" über Kinderpornografie. Auch "Penis" ist nicht erlaubt. Falls ein Besucher spontan die Online-Informationen einer medizinischen Fachzeitschrift über Beschwerden beim Harnlassen interessierten, senkte sich der virtuelle Schlagbaum. Die Universität von Essex (!) hat ohnehin nie keine Chance.

Wer auch nur zehn Minuten im Internet sucht, findet gleich ein Dutzend Artikel, die minutiös nachweisen, dass die Kriterien von Filter-Software absurd sind, dass diese Programme nichts nützten und leicht umgangen werden können. Das steht schon in der Broschüre der Ausstellung: "Die Phantasie kann auf unterschiedliche Weise angeregt werden." Zum Beispiel durch Verbote, sich Wissen anzueignen.

"Zeichen setzen für eine Welt von morgen", heisst es als Motto. Das lässt nichts Gutes hoffen und lehrt nur eines: Die Verantwortlichen haben keine Ahnung vom Internet. Wer meint bevormunden zu müssen, sollte vielleicht Ausstellungen machen, die sich ausschliesslich mit der Vergangenheit beschäftigen.

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