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Dieser Artikel
erschien leicht gekürzt
am 20. Januar 1999
im Berliner Stadtmagazin
TIP
.Die unsichtbare Kronen tragen
  - Neuapostolische Kirche
Bernhard Motzkus, 56, kramt einen geheimnisvollen Zettel aus seiner Brieftasche - interne Anweisungen, wie sich ein Mann mit Macht zu verhalten habe, nur für den Dienstgebrauch. Die Presse darf das Papier nicht einsehen. Motzkus liest das oberste Verhaltensprinzip vor: "Dienen und Führen."

Ein schönes und hehres Motto. Es ist jedoch nicht für die knapp zehntausend Mitarbeiter der Charité gedacht, als deren Verwaltungsdirektor Motzkus sich nicht immer beliebt macht. Der Leitfaden für Führungskräfte, auf deren Weisungen er im Zweifelsfall zurückgreifen kann, gilt nur für die Prediger der Neuapostolischen Kirche. Der mächtige Mann der Charité steht jeden Sonntag in Moabit vor seiner Christengemeinde und dient und führt.

Die schwerreiche neuapostolische Kirche (NAK) ist die Mutter der Unauffälligkeit. Jedes Mitglied "opfert" zehn Prozent des Bruttoeinkommens. Trotz des Geldsegens sind die 44 Kirchen in Berlin und das Gebäudebegleitgrün so friedhofskompatibel wie die ernsten Mienen der frommen Beter, die sich mindestens zwei Mal in der Woche versammeln. Kaum jemand weiss etwas über das heimliche Treiben der knapp 20000 Berliner, die der NAK angehören. Die fundamentalistische Sekte, ursprünglich eine Abspaltung von der anglikanischen Kirche, verkündet seit 150 Jahren, das heissersehnte "Kommen des Herrn" stünde unmittelbar bevor. Wer zu den Rechtgläubigen gehört, den beamt Jesus vor dem grossen Showdown zwischen Gut und Böse "in die Wolken". Wenn sich der Rauch verzogen hat, kommen die Geretteten als "Könige und Priester" zurück und zeigen den Ungläubigen, was eine Harke ist. "Wir verkünden die Wahrheit aus urchristlicher Sicht", meint Bernhard Motzkus.

Nur wenige wissen davon, die heimliche und zukünftige Elite der Menschheit. Das sind, urchristlich bescheiden, nur die Neuapostolischen. Sie tragen, so hört man von draussen den Kirchenchor inbrünstig singen, unsichtbare Kronen. Die ahnungslose irdische Presse wird abgebügelt. Der für die Kontakte zur ungläubigen Welt Zuständige ist gerade auf Missionsreise in der inneren Mongolei. "Warum sollten wir mit ihnen reden?" raunzt jemand rüde ins Telefon. Fotografieren verboten.

Die bei der Konkurrenz für Feindbeobachtung zuständigen Pfarrer heben mahnend den Zeigefinger: "Gefährliche Sekte! Aussteiger kriegen Probleme! Verrat an der wahren Lehre!" Das macht neugierig. Bernhard Motzkus sieht das gelassen: "Auch die urchristlichen Gemeinden galten aus der Sicht der Juden als Sekten."

Die wenigen Ex-Neuapostolischen, derer man habhaft werden kann, fahren jedoch schweres Geschütz auf. Heidlinde Brandt, 41, und Karl-Heinz Brandt, 43, sind beide, wie fast alle Mitglieder der NAK, in die Kirche hineingeboren worden. Vor einigen Jahre verliessen sie ihre Gemeinde im Prenzlauer Berg. "Diktatorisches System" ist noch einer der harmlosen Vorwürfe. Es sei nicht mehr so viel verboten wie früher. Kino ist erlaubt, vorehelicher Geschlechtsverkehr wird "nicht empfohlen." Aber die Frommen drohten bei abweichendem Verhalten jeder Art: "Da liegt nicht der Segen drauf." Und wer meint, zur wahren Elite zu gehören, hat beim Ausstieg Angst, alles zu verlieren. "Das ist eine Art von Abhängigkeit", sagt Heidlinde Brandt. "Es gibt Amtsträger, die ihre Frau sexuell missbrauchen, es gibt Kindesmissbrauch. Man weiss davon, redet aber nicht darüber." Nachdem das Ehepaar den Kontakt zu Gleichgesinnten gesucht hatten, auch ein Psychologe war dabei, nennen sie sich Sektenaussteiger.

Holger B., 36, Lehrer aus Frohnau, war in seiner Gemeinde für die Jugend zuständig. Als er verkündete, er wolle der Kirche den Rücken kehren, "dachten die, ich machte einen dummen Witz." Sein stärkstes Motiv: die Verantwortung vor seinen drei Kindern. "Neuapostolische Jugendliche wissen, dass sie Aussenseiter sind." Das wollte er seinen Töchtern nicht antun. Er wirft der NAK vor, die Lehre ihrer Apostel wichtiger zu nehmen als die Bibel. Jetzt ist er bei den Evangelen untergeschlüpft. "Die dürfen alles."

Elke Berger, 35, Krankenschwester aus Tegel und Aussteigerin, kritisiert die allgegenwärtige Furcht vor dem strafenden Gott. Als ihre Tochter in die Sonntagsschule sollte, entschloss sie sich endgültig zum Bruch. "Das ist keine frohe Botschaft, sondern eine Angstbotschaft." Die NAK sei "eine Klassengesellschaft: oben die Amtsträger, dann deren Frauen, und dann der Rest." Der Ausstieg fielt ihr leichter, weil ihr Ehemann nicht zur Sekte gehörte. Viele ehemaligen Neuapostolischen bleiben der Kirche fern, treten aber nicht aus, weil sie ihren Eltern nicht wehtun wollen. "Für meinen Vater war mein Ausstieg schlimm", sagt Holger B., "er hat bitter geweint."

Im Gebälk der strenggläubigen Gemeinschaft knirscht und knackt es. Intern beschweren sich die Wessis bitter über die feindliche Übernahme durch die Ossis. Die Zentrale der NAK in der Schweiz hat nach der Wiedervereinigung verfügt, die West-Berliner Neuapostolischen müssten sich den Ost-Berlinern unterordnen. Das war naiv. Der oberste Berliner "Apostel" Fritz Schröder ist gelernter DDR-Bürger, redet noch charismatischer als Honecker, lehnt die verderbte westliche Dekadenz ab und empfiehlt, sich ein Beispiel an den frisch missionierten Neuapostolischen in Kasachstan zu nehmen. Die stellten keine Ansprüche. Elke Berger berichtet von einer Gemeinde im Wedding: Dort flüchteteten ein Teil der Amtsträger wie Fussvolk gen Westen, weil der frisch gekürte Vorsteher, ein Ossi, sich so ultraorthodox gerierte, dass sich selbst die Zeugen Jehovas eine Scheibe hätten davon abschneiden können. "Wenn ein Amtsträger die ihm anvertrauten neuapostolischen "Schafe" besuchte, sollten die sich festlich kleiden. Der Grund: Gott höchstpersönlich käme ins Haus."

Der ganz und gar nicht urchristliche Opportunismus der NAK gegenüber jedwedem Staat und Regime wird auch heute nicht diskutiert. Der "Stammapostel" Friedrich Bischoff wetterte 1933 gegen "jüdisch-marxistische Kliquen" und schrieb an die Nazi-Machthaber: "Jedes Mitglied der Neuapostolischen Gemeinde ist durch die planmässige Beeinflussung seitens der Hauptleitung in nationalsozialistischem Sinn erzogen." Die Nazis würden von den Neuapostolen "nicht nur anerkannt, sondern auch gefördert." Als Heidlinde Brandt die Akten zu Gesicht bekam, musste sie zugeben: "Über die Geschichte hat man uns belogen." Bernhard Motzkus will sich über die Vergangenheit nicht streiten. Er sei nicht autorisiert, im Namen der NAK zu sprechen, aber: "Jesus hat sich auch aus der Politik herausgehalten."

Ganz zaghaft strecken die, die unsichtbare Kronen tragen, ihre Fühler aus in ein unbekanntes und gefährliches Terrain. "Es gibt auch in anderen Religionen ernstzunehmende Menschen, die das Heil nach der göttlichen Gerechtigkeit erlangen." Die Neuapostolischen reden sogar schon mit dem Rest der Welt - ein kleiner Schritt für die Ungläubigen, aber ein grosser Schritt für eine Sekte. "Man muss sehen, was dabei herauskommt", sagt Bernhard Motzkus.

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