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Erschienen im TIP Berlin, 4/2003 .Akte Polizeigewalt

Berliner Polizisten sind nicht zimperlich. Wer Widerstand gegen die Staatsgewalt leistet, landet auf der Anklagebank. Übergriffe von Polizisten haben hingegen selten juristische Konsequenzen. Doch im Fall eines deutschtürkischen Journalisten wurde jetzt ein Polizist zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Zwei Berliner Polizisten haben einen Kameramann zusammengeschlagen. Es gab keinen besonderen Grund, nur so. Das Opfer ist für sein Leben gezeichnet, schwer traumatisiert und berufsunfähig. Das ist Berlin, damit muss man wohl rechnen in der Hauptstadt. Deshalb liest man über den Vorfall nur wenige Zeilen in den grossen Zeitungen, unter "Vermischtes" im Lokalteil.

Zwei Details jedoch lassen aufhorchen. Einer der Polizisten ist im Dezember verurteilt worden. Das ist die grosse Ausnahme. Und: das Opfer hat einen türkischen Namen und ist dennoch Deutscher. Ein "Südländer" also, wie die Polizisten das formulieren. Levent Öktas* hat die Guten mobilisiert, antirassistische Initiativen und Gruppen mit einem "Soli" im Logo. Hinten im Saal sitzt ein Beobachter von Amnesty International. Die Anwältin des Nebenklägers Öktas, Beate Böhler, gilt als durchsetzungsfähig, ja penetrant. Sie befragt Täter wie Zeugen der Polizei so, dass gestandenen Wachtmeistern mit Berliner Kodderschnauze trotz der Kühle im Saal die Schweissperlen auf der Stirn stehen und die Hände zittern.

Der Prozess gegen die Berliner Polizisten Bernd O. und Mike A. ist ein deutsches Lehrstück. Was müssen Bürger der Hauptstadt, die in den Augen ihrer Polizisten "südländisch" aussehen, im Kontakt mit den Freunden und Helfern beachten? Gibt es Risiken und Nebenwirkungen? Darf ein Bürger, der eine Gewaltorgie beobachtet, sich als Zeuge zur Verfügung stellen - oder sollte man das tunlichst vermeiden? Und was lehrt uns das und die Polizei?

Die Beamten haben sich in diesem Fall alle Mühe gegeben, Ordnung in die Sache zu kriegen: Alle Zeugen und natürlich auch das Opfer wurden wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt vorsorglich angezeigt. So kennt man das. Die Anzeigen waren hier jedoch unprofessionell formuliert. Alle Zeugen, die zugunsten des Opfers aussagten, wurden in gesonderten Verfahren freigesprochen. Die Polizisten bieten jetzt also eine noch schönere und glattere Version der Geschichte an. Einer der angeklagten Beamten hat sogar eine andere Frisur und eine andere Haarfarbe, damit die Zeugen nicht auf den dummen Gedanken kommen, ihn wiederzuerkennen. Obwohl die Decke des Ehrfurcht gebietenden Saales keine Balken hat, die sich biegen könnten, hört jeder, der nicht verwandt oder verschwägert mit den Tätern ist, es laut knirschen, wenn die Polizisten erzählen.

Ein Routineeinsatz: An einem Samstag im April 2000, kurz vor Mitternacht, beschwert sich eine Mieterin des Hinterhauses in der Yorckstrasse 74 über laute Musik. Das Ambiente dort ist gut bürgerlich, Springbrunnen im zweiten Hof, keine Mülltonne steht am falschen Platz. Der Mieter Levent Öktas bewohnt die Remise. Der Polizist Bernd O. betritt das Haus, sein Kollege Mike A. folgt kurz darauf. Die Musik wird sofort ausgestellt. Das gute Dutzend der Gäste verhält sich friedlich. Aber trotzdem gerät die Angelegenheit aus dem Lot. Ein Polizist in Kreuzberg kommt bei einem "südländischen" Mieter eher in Versuchung, die Wohnung mal eben so zu durchsuchen als in einer Villa im Grunewald. Der Beamte findet auch etwas in der Küche: zwei Pflanzen, die er für Hanf hält, 17 Zentimeter hoch und mit Topf bequem in einer Hand zu tragen. Die schneidet er trotz des Protestes des Mieters ab. Eine polizeitechnische Untersuchung ist angesagt. Levent Öktas nimmt seine Pflanzen und steckt sie trotzig in die Tasche. Jetzt stört er eine deutsche Amtshandlung. Eine Dienstmarke, die Öktas verlangt, bekomme er nur zu sehen, wenn er die Beweismittel herausrücke. So geschieht es. Alle gehen dennoch friedlich und gemeinsam auf die Strasse zum Polizeifahrzeug, um ein Protokoll anzufertigen.

Niemandem gelingt es während der Verhandlung gegen die beiden angeklagten Polizisten herauszufinden, was ihr Motiv gewesen sein könnte, Levent Öktas auf dem Bürgersteig auf den Hinterkopf zu schlagen, ihn zu würgen, ihn aus dem so genannten Kreuzfesselgriff mit voller Wucht auf das Pflaster zu werfen, dass das Opfer sich einen offenen Nasenbeinbruch zuzieht. In einer Verhandlung lässt sich der Staatsanwalt diesen Griff vorführen und bekundet mit verzerrtem Gesicht, das tue ja weh. Laut einem vernommenen Sportlehrer der Polizei dient der Griff "nur zum Transport" und könne nicht gegen den Widerstand des zu Transportierenden angewendet werden. Der Zeuge kann nicht beantworten, ob das Transportgut vorher zusammengeschlagen werden muss, damit es bewegt werden kann. Später werden Ärzte bei Levent Öktas ein Schädelgehirntrauma und ein Trauma der Halswirbelsäule festellen. Mehrere Operationen sind nötig. Das Gutachten eines Orthopäden spricht von "multiplen Prellungen mit massiven Hämatomen". Ein Ellenbogengelenk ist irreversibel geschädigt. Levent Öktas hat ausserdem seinen Geruchssinn verloren und ist seit dem Ereignis wegen Angst- und Panikattacken in psychiatrischer Behandlung.

Das alles ist unstrittig. Niemand wird behaupten, dass sich jemand so etwas selbst zufügen kann. Niemand wird auch von gestressten Grossstadtpolizisten erwarten, dass sie sich über so komplizierte Dinge wie Anstand den Kopf zerbrechen. Die Anwälte der Angeklagten sind sich offenbar so sicher, dass verbeamtete Schläger ohnehin freigesprochen werden, dass sie ihren Mandanten noch nicht einmal geraten haben, sich beim Opfer zu entschuldigen, um einen guten Eindruck bei Gericht zu machen. Aber irgendeinen Grund muss es gegeben haben, dass der Abend für Levent Öktas in einer Katastrophe endete.

Der Journalist und Kameramann ist 1980 nach dem Militarputsch rechter Generale aus der Türkei nach Deutschland geflohen. Amnesty betreute ihn damals, er kennt die Methoden, die alternative Öffentlichkeit aufmerksam zu machen. Seit Jahren hat er einen deutschen Pass. Dieses Land ist sein Land, sagt er. Im Gerichtssaal hat er eine Batterie Medikamente vor sich aufgebaut, die er während der Verhandlung ununterbochen schluckt. Dieses Land sei ein Rechtsstaat, sagt er immer wieder mit zitternder Stimme. Und Öktas' Fehler war, dass er glaubte, sich darauf verlassen zu können.

Deshalb zeigte er dem Polizisten Bernd O. seinen deutschen Pass und seinen Presseausweis, kündigte an, er werde sich beschweren. Und bestand darauf, die Dienstmarke zu bekommen. Ein Freund Öktas' sagt, Levent könne manchmal eine Situation nicht richtig einschätzen. Und ein "Südländer", der penetrant auf seine Bürgerrechte hinweist, ist im Weltbild des Polizisten Bernd O. nicht vorgesehen. Der Beamte ist jung, schmächtig, und wähnt sich in Kreuzberg offenbar ständig von Feinden umzingelt. Levent Öktas hat wohl auch auf der Strasse in ruhigem Ton bekanntgegeben, dass der übertriebene Einsatz gegen die vermeintlichen Cannabis-Pflanzen Folgen haben werden.

Direkt neben dem Hauseingang liegt die Kneipe Millennium. Dort verkehren "Südländer", wie die Polizeizeugen das formulieren. Das Millennium passt zum biederen Ambiente des Hauses wie eine Neonröhre zu Albrecht Dürer. Dort verkehren auch Leute, die ungern freiwillig in Kontakt mit der Staatsmacht treten. An jenem Abend sassen hier zahlreiche Gäste. In der Verhandlung fällt der Satz: "Wir hatten den Verdacht, dass die sich verbrüdern."Es handelt sich nicht um die "Landsleute" des Öktas, wie ein Anwalt penetrant suggerieren will. Die Gäste sehen, wie Öktas von mehreren Polizisten brutal misshandelt wird. Sie empören sich. Einer der Zeugen - Spitzname "Ketchu"p - sieht, wie einer der Beamten das Opfer an den Haaren zieht und den Kopf wieder auf das Pflaster knallen lässt. Ein anderer ruft per Handy einen Krankenwagen, weil das Opfer blutend und in Handfesseln im Hauseingang sitzt und nur noch wimmert.

Mittlerweile sind zahlreiche Polizisten vor Ort, auch in Zivil. Ein älterer Beamter kommt, das haben mehrere Zeugen gesehen, nimmt Levent Öktas die Fesseln ab und redet beruhigend auf ihn ein. Er sagt sogar türkische Worte. Die Zeugen bekunden auch, dass eine anwesende Beamtin versucht hätte, ihre prügelnden Kollegen zurückzuhalten. Sie habe gerufen: "Was macht ihr da?!" Natürlich kann sich keiner der Polizeizeugen später daran erinnern. Der Gedächnisschwund wird dadurch gefördert, dass alle beteiligten Beamten nach dem Vorfall zusammen in der Schreibstube sitzen und alle Gäste des Millenniums, die sich als Zeugen anboten, anzeigen - wegen Widerstands. Wenn der Klient "Südländer" ist, so werden die Polizisten Bernd O. und Mike A. gedacht haben, ist das Risiko gering, eine Anzeige zu verhindern, wenn man den Betreffenden verprügelt. Sie haben Recht. Ihr Pech, dass die "Südländer" im Millennium sich als Zeugen gemeldet haben, obwohl sie Levent Öktas weder kennen noch ihn sympathisch finden. Einer von ihnen hält das Opfer sogar für ein "Arschloch", weil der sich nach der Verhandlung noch nicht einmal für ihr Erscheinen bedankt habe.

Levent Öktas scheint ein schwieriger Mensch zu sein, so schwierig, dass seine erste Anwältin entnervt das Mandat niederlegte. Das Opfer erzeugt in der "Soli-Szene" nicht den Robbenbaby-Effekt, man hält ihn für eine "Nervensäge" und erscheint nur aus Pflichtgefühl. Und man ist sich einig, dass ohne die Anwältin Beate Böhler die Polizisten wohl freigesprochen worden wären. Aber niemand macht sich Gedanken darüber, warum Levent Öktas "schwierig" ist. Seit dem Vorfall leidet er unter Wortfindungsschwierigkeiten, es ist anstrengend, ihm zuzuhören. Er versteht die Welt nicht mehr. "Ich bin traumatisier"", bricht oft aus ihm hervor.

Das sei nicht ungewöhnlich, sagt man im Berliner Zentrum für Folteropfer. Wer Opfer schwerer Misshandlungen geworden sei, stelle sich unbewusst vor, dass die Täter aus der Schuld entlassen würden, wenn man sich geheilt gäbe. "Gesund zu werden würde bedeuten, dass man aufhört, ein lebendes Mahnmal gegen die Täter zu sein." Wer sein Leiden öffentlich zur Schau trage, kämpfe damit gegen die Angst, an den zugefügten Misshandlungen selbst schuld zu sein.

Der Polizist Bernd O. wurde zu sieben Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt, zwei Jahre darf er keine öffentlichen Ämter bekleiden. Solange das Urteil nicht rechtskräftig ist, wird er nicht vom Dienst suspendiert. Sein Kollege Mike A. wurde freigesprochen. Es wird eine Berufung geben. Das Opfer wird sich auf der Anklagebank wiederfinden, weil ein eifriger Oberstaatsanwalt nicht glauben will, dass kein Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgelegen hat.

*Name von der Redaktion geändert

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