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Dieser Artikel
erschien gekürzt
und verändert
in der TAZ
vom 6.12.95
.Neonazis online: Im "Thule-Netz"
Zwischen dem 23.9. und dem 11.11. finden schriftliche Prüfungen in "nationalsozialistischer Weltanschaung "statt, u.a in Würzburg und Hamburg. Zur Prüfung - Thema: "Reichsbürgerkunde" - wird nicht jeder zugelassen, sondern nur bewährte und geschulte Neonazi-Kader, ganz gleich, aus welcher Organisation sie stammen. Der genaue Termin und Ort der Veranstaltung sind geheim. Bekannt ist aber der Prüfer, der auch das Schulungsmaterial ausgearbeitet hat: Dr. Reinhold Oberlercher, Hamburger Soziologe, ehemaliger Funktionär des SDS und Weggefährte Rudi Dutschkes.

Die militante Rechte in Deutschland ist weder zerschlagen noch eingeschüchtert. Ganz im Gegenteil. Viele der durch die Medien bekanntgewordenen Rechtsextremisten wie der Hamburger Neonazi Christian Worch oder der NPD-Chef Deckert haben längere Gefängnistrafen aufgebrummt bekommen. Trotzdem organisieren nationalsozialistische Kader vor allem in den neuen Ländern den Untergrund, vor allem in der rechten jugenlcihen Subkultur.

Wichtigstes Mittel ist das Thule-Netz, ein Computer-Verbund aus einem Dutzend Mailboxen. Thule-Boxen gibt es in Neubrandenburg, Berlin, Hameln, Frankfurt/M., München, Karlsruhe, einige in kleineren Orten in Baden und Bayern. Dem Thule-Netz verbunden sind Neonazi-Mailboxen in Rotterdam ("Weerwolf BBS") und Oslo ("Motstand BBS").

Per Datenfernübertragung organisieren rechtsextremistische Computer-Freaks Oberlerchers Schulungen, den elektronischen Vertrieb nationalsozialistischer Zeitschriften sowie parteiübergreifende Diskussionen zu Strategie und Taktik der militanten Rechten. "Es wird Zeit", schrieb ein Neonazi-Funktionär im "Thule"-Netz, daß wir uns mit der "kulturellen Vorherrschaft der Linken und den Ideen von Antonio Gramsci" auseinandersetzen.

Reinhold Oberlercher hat zur Zeit das Monopol, was die Schulung von Neonazis angeht. Seine konspirativen Seminare "erfreuen sich", so ein Bericht über eine Veranstaltung in Bielefeld, "reger Nachfrage, was die Schulungsbereitschaft einer nationalistischen Nachwuchsintelligenz verdeutlicht."

Oberlercher kam 1960 aus der DDR in den Westen und galt lange Jahre als Linker. 1981 wetterte er in der anarchistischen Zeitschrift "Direkte Aktion" der "Freien Arbeiter Union" (FAU) gegen den "bürgerlichen Nationalstaat". Schon damals forderte er ein "sofortiges Einstellungsverbot für Ausländer" und einen "nationalen Befreiungskampf gegen Rußland", das er als Haupthindernis zur deutschen Einheit ansah. Diese Sätze zogen den Ausschluß aus der FAU nach sich.

Ende der 80er trieb sich Oberlercher in nationalrevolutionären Kreisen herum und referierte vor rechtsextremistischen Zirkeln wie dem "Witikobund", der Burschenschaft "Danubia" in München, bei der Salonfaschisten-Postille "Junge Freiheit" und beim "Ring Freiheitlicher Studenten" in Wien. Dort sprach er sich für einen Anschluß Österreichs an Deutschland aus. Für die in Hamburg ansässige Deutsch-Europäische Studiengesellschaft (DESG) schulte er Rechte jeglicher Couleur, von Mitgliedern der REPs und der Deutschen Liga bis hin zu eingefleischten Neonazis.

Zentrales Thema der Schulungen sind ein "Reichsverfassungsentwurf" und ein "Hundert-Tage-Programm der nationalen Notstandsregierung in Deutschland". In diesem Konzept für die Machtergreifung der extremen Rechten sind u.a. enthalten: die Forderungen nach "Beendigung der Ausländerbeschäftigung", Bekämpfung des Drogenkonsums mit "militärischen Mitteln", Wiedererrichtung des Deutschen Reiches und - der Osten läßt grüßen - Beschränkung des Fernsehens auf "zwei nationale Programme". Das fand viel Lob in der militanten Rechten, so bei Christian Worch. Seitdem ist Oberlercher bei bekennenden Nazis ein gerngesehener Gastredner und intellektuelles Aushängeschild.

Flankiert wird die theoretische Ausbildung miltanter Neonazi-Kader für den revolutionären Umsturz durch Texte, die jeder User des Thule-Netzes in diversen Mailboxen kopieren und dann verteilen kann. In der zentralen Thule-Box "Widerstand BBS" sind Dateien verfügbar, die sich mit der Enttarnung von "Spitzel, Spaltern und Provokateuren" beschäftigen. Betreiber ist der Erlanger Informatiker Thomas Hetzer alias "Alfred Tetzlaff", aus dem Umfeld der "Jungen Nationaldemokraten". Detailliert wird über die Arbeit des Verfassungsschutzes informiert - mit konkreten Beispielen: "Einem Kameraden mit hervorragendem Hintergrundwissen wurden vor wenigen Monaten 5000,- DM monatlich geboten..." Der Text "Kader" beschreibt im Detail den Aufbau einer illegalen Organisation. Die müsse, so wird Lenin zitiert, aus Leuten bestehen, "die sich berufsmäßig mit revolutionärer Tätigkeit befassen."

Diese elektronisch verfügbaren Publikationen stammen fast alle aus theoretischen Schriften der verbotenen Nazi-Partei "Nationalistische Front" bzw. deren Nachfolgeorganisation "Sozialrevolutionäre Arbeiterfront". Die NF hat sich zwar gespalten, ist aber weiterhin sehr aktiv. Die kleinere Fraktion um den ehemaligen NF-Chef Meinolf Schönborn versucht zur Zeit, durch lancierte Pressemeldungen die eigene, geringe Bedeutung zu erhöhen. Der Flügel um Andreas Pohl ist vor allem in und um Berlin sowie in Sachsen-Anhalt und Thüringen präsent. Die Pohl-Fraktion besitzt in Berlin eine eigene, dem Thule-Netz angeschlossene Mailbox, die "SoRevo BBS", deren Sysop Thomas Richter sich "Kammando F." nennt.

Der NF-Kader Steffen Hupka gibt in Quedlinburg das nationalsozialistische Theorie-Organ "Umbruch" heraus, dessen Ausgaben elektronisch im Thule-Netz verbreitet werden. Hupka, der von den "Jungen Nationaldemokraten" über die ANS Kühnens zur NF kam, ist es gelungen, unter dem Deckmantel eines "Deutschen Freundeskreises Nordharz" mehrere Neonazi-Gruppen zu koordinieren, wie den "Harzer Heimatschutzbund" in Thale und die Gruppe "Aufbruch" in Blankenburg. Auch die ehemalige FAP-Kameradschaft in Werningerode, die mehr als 50 Rechtsextremisten umfaßte, ist in Hupkas Verbund aufgegangen.

Das organisatorische Konzept der militanten Rechten besteht - nach dem Verbot vieler ultrarechter Politsekten - im Prinzip der "autonomen Kameradschaft": Nur die Anführer wissen um die Identität der anderen Kader., die Mitglieder kennen nicht die der anderen "Kameradschaften". Sympathisanten müssen sich erst längere Zeit bewähren, um aufgenommen zu werden. Parteibindungen sind nicht erwünscht, um den polizeilichen Zugriff zu erschweren, Parteigrenzen spielen keine große Rolle mehr. So kann zwar der Frankfurter NPD-Funktionär Ernst Marschall , einer der User des Thule-Netzes, die Berliner NF-Fraktion als "Spinner vom Glatzenhaufen" beschimpfen. In wesentlichen Fragen arbeiten jedoch alle zusammen.

Meinolf Schönborn speiste z. B. am 13.9. seine Presseerklärung zum Ausstieg des Neonazi-Bombenexperten Peter Naumann ins Thule-Netz. Diese Erklärung wurde vom Chef der verbotenen "Nationalen Offensive", Michael Swierczek, beantwortet, der am 17.9. den Aufruf des Hamburger Verfassungsschützers Ernst Urhlau, der Gewalt abzuschwören, als eine "Seifenopfer" bezeichnete und die "Kameraden" aufforderte, den Aussagen Naumanns zu mißtrauen.

Neuestes Projekt der militanten Rechten, das im Thule-Netz vorgestellt wurde, ist eine nationalistische Zeitung, die in drei Regionalausgaben erscheint: der "Berlin-Brandenburger Zeitung" (BBZ),die vor einigen Jahren noch von der jetzt verbotenen "Deutschen Alternative" herausgegeben wurde; die "Junges Franken" (JF) und die "Neue Thüringer Zeitung" (NTZ). Alle drei erscheinen mit gleichem überregionalem Teil, der regionale Außenteil ist jeweils verschieden. Beteiligt an der Redaktion sind Rechtsextremisten der NPD wie Klaus Beier, NPD-Vorsitzender Aschaffenburg, Mitglieder der "Jungen Nationaldemokraten" aus Franken, der Berliner Neonazi Andreas Stohr sowie Kader der früheren NF. Diese Art von Zusammenarbeit zwischen ehemals konkurrierenden Gruppen wäre noch vor ein paar Jahren undenkbar gewesen.

Die neuen Medien wie die Datenfernübertragung per Computer und Modem gewähren nicht nur die schnelle Verbreitung von Propaganda und Diskussionsbeiträgen in ganz Deutschland, sondern auch maximale Sicherheit. Private Nachrichten von einem Thule-User zum anderen werden mit dem Programm "Pretty Good Privacy" (PGP) des US-amerikanischen Programmierers Phil Zimmermann verschlüsselt.

Diese Software ist aus technischen Gründen, auch wenn die Nachrichten abgefangen bzw. abgehört würden, nicht zu entschlüsseln. Verwalter der Schlüssel, mit denen Mails codiert werden, ist Kai Dalek alias "undertaker", der Systembetreiber der "Kraftwerk BBS" in Weissenbrunn/Kronach. Dalek war schon zur Zeit Michael Kühnens für die "Sicherheit" verantwortlich. Ihm wird nachgesagt, ein umfangreiches Video-Archiv mit Aufnahmen politisch mißliebiger Feinde der Neonazis zu besitzen.

Im Thule-Netz wird zwar die technisch veraltete Programm-Variante 2.3a von PGP benutzt; die Wünsche diverser Geheimdienste nach verbesserten Abhörtechniken laufen trotzdem ins Leere. Zusätzlich bieten die Thule-Boxen, wie andere Mailboxen auch, steganographische Software zum kostenlosen Kopieren an: Steganographie verschleiert die Tatsache, daß verschlüsselt wurde. Diese Software bindet codierte Texte in Sound- oder Graphikdateien ein- eine perfekte elektronische Tarnkappe.

Die Thule-Systembetreiber (Sysops) kommunizieren in einem gesonderten Forum ("Brett"), das nur sie lesen dürfen. Ihre Nachrichten sind zusätzlich mit einem geheimen Schlüssel und einem Paßwort ("Mantra") gesichert. In den letzten Wochen diskutierten die Sysops über das Niveau des Netzes und beschlossen, allen User, die gegen die Regeln verstoßen - "keine Beleidigungen, keine strafbaren Inhalte" - "massiv und ohne Vorwarnung" Schreibverbot zu erteilen.

Diese Kontrolle soll verhindern, daß die Polizei einen juristisch haltbaren Grund findet, Thule-Mailboxen zu beschlagnahmen. Deshalb werden Nachrichten mit offen antisemitischen Inhalten gelöscht, schon bevor sie öffentlich zugänglich sind. Die Neonazis im Thule-Netz befürchten auch, daß Antifas mitlesen. So verdächtigten z. B. die Sysops intern User mit den Pseudonymen "Wilhelm Tell" und "Eummelzocker", "Angehörige des linken Spektrums" zu sein.

Vermutungen über Anleitungen zum Bombenbau, die vor allem in den Medien ohne genaue Recherchen geäußert wurden, haben sich nicht bestätigt. Im abgeschotteten Thule-Netz ist so etwas nicht zu finden, wohl aber im weltumspannenden Internet. Jede US-Miliz hat dort ihre eigenen Homepages. Amerikanische, kanadische und andere Nazis verbreiten dort Propaganda. Allen voran der deutsch-kanadische Nazi Ernst Zündel und der Holocaust-Leugner Greg Raven, dessen ominöses "Institut for Historical Review" für revisionistische Traktate bekannt ist. Rechtsextremistische Skinhead-Gruppen wie "Stormfront" werben per Internet und Mailbox auch für das deutsche Thule-Netz.

Das Thule-Netz hat in Ansätzen das erreicht, was bei seiner Gründung anvisiert worden ist - die Vernetzung und Schulung der gesamtdeutschen rechten Szene. In den alten Bundesländern gebe es, so schrieb das "Thule-Journal" schon vor einemjahr, "eine große Menge an Führungskräften, die durch jahrelange Schulungen zu den fähigsten ihres Gebietes geworden sind." In Mitteldeutschland, womit die neuen Bundesländer gemeint sind, sei jedoch die personelle Basis vorhanden. Deshalb sei die "Vernetzung zwischen Kaderfunktionären aus Nord- und Süddeutschland mit den Aktivisten aus Mitteldeutschland" nötig. Das Thule-Netz sei hierfür geeignet, weil es den Informationsaustausch "von beiden Seiten" gewährleiste.

Und nicht nur in Deutschland. Auch die Nazis in Österreich wollen sich mit den deutschen Gesinnungsgenossen kurzschließen. Mitte Oktober war ein Rechtsextremist aus Wien mit dem Thule-Pseudonym "Arisk" bei Thomas Hetzer in Erlangen, um über den Aufbau einer Mailbox in der österreichischen Hauptstadt zu diskutieren.

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